Neustadt. Eine Weile war nicht sicher, ob sie das überleben würde. Zu ungleich waren die Kräfte verteilt, die da aufeinanderprallten. Sie, die Radfahrerin, und er, der 20 Meter lange und etliche Tonnen schwere Lastwagen, die miteinander kollidierten. Für den Lkw-Fahrer war der Unfall noch nicht einmal spürbar, kein Ruckeln, kein auffälliges Geräusch, nichts. Für die Frau bedeutete es jedoch einen alles verändernden Absturz. Von ihrem Rad - und aus ihrem bisherigen Leben.

Für Inge F. (Namen geändert) ist seit jenem Dezembertag des vergangenen Jahres kaum noch etwas, wie es war. Und doch kann die 51-Jährige von Glück sprechen, dass sie es geschafft hat, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Ein langwieriger, ein mühsamer Weg, der noch nicht abgeschlossen ist.

Der Mann, der den Lastwagen steuerte und damit indirekt für den dramatischen Einschnitt im Leben der Hamburgerin verantwortlich sein soll, muss sich jetzt wegen fahrlässiger Körperverletzung vor dem Amtsgericht verantworten. Laut Anklage war Roland N. mit seinem Lkw-Gespann auf einer mehrspurigen Straße auf der rechten Fahrbahn gefahren, war dann nach links gewechselt und wenig später wieder zurück auf die rechte Spur. Dabei touchierte der hintere Teil des Anhängers die Radfahrerin, die durch den Aufprall schwerste Verletzungen davontrug, unter anderem einen Schädelbasisbruch.

"Es tut mir leid, dass die Dame verletzt wurde", beginnt der kräftige Mann seine Aussage. Die Frau habe damals auf ihrem Rad die Rechtsabbiegerspur benutzt, deshalb sei er davon ausgegangen, dass sie auch abbiegen wolle. "Ich bin auf der rechten Geradeausspur gefahren." Er habe nicht, wie behauptet, die Fahrbahnen gewechselt, sondern mit seinem 20-Meter-Gespann eine relativ enge Fahrbahnverschwenkung nicht voll ausfahren können. "Dann habe ich im Rückspiegel gesehen, dass sie da lag, und sofort angehalten", erzählt der 57-Jährige. "Warum die Radfahrerin gestürzt ist, wusste ich nicht. Später stellte sich heraus, dass sie gegen meinen Anhänger gekommen war."

Für ihr Fahrverhalten hat Inge F. indes auch keine Erklärung. Die Geschehnisse von damals sind für die 51-Jährige wie aus ihrem Gedächtnis wegradiert. "Ich erinnere mich an gar nichts mehr", sagt die Zeugin. Mit durchgedrücktem Rücken sitzt sie auf ihrem Stuhl, eine blasse Frau mit kurzem Haar. Von den Folgen des Unfalls soll sie erzählen, und das tut sie mit beeindruckender Sachlichkeit.

Ihre massiven Kopfverletzungen erwähnt sie, ihren fünfwöchigen Krankenhausaufenthalt, ihre noch immer andauernde Krankschreibung. Ein Lungenflügel war kollabiert, mehrere notwendige Operationen am Kopf haben unter anderem ihr Gehör und ihren Geschmackssinn beeinträchtigt. "Die Ärzte können nicht sagen, ob es je wieder richtig in Ordnung kommt." Zivilrechtlich ist die Sache noch nicht abgeschlossen. "Und es ist schwierig, wie sie strafrechtlich zu bewerten ist", meint die Amtsrichterin.

Fest steht jedenfalls, dass Roland N., seit mittlerweile 35 Jahren Berufskraftfahrer, alles andere als ein Verkehrsrowdy ist. Er ist noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Und auch sein Punktekonto in der Verkehrssünderkartei ist bei ihm trotz ungezählter Stunden hinter dem Steuer makellos. Das sei Roland N. "hoch anzurechnen", betont der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Der Angeklagte habe geglaubt, dass die Radfahrerin abbiegen wolle. Dass es zum Unfall kam, sei "unglücklichen Umständen" geschuldet, es handele sich um ein "Augenblicksversagen". Das sieht auch die Amtsrichterin so, die den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung schuldig spricht und verwarnt. Eine Geldstrafe von 600 Euro setzt sie zur Bewährung aus, die denkbar mildeste Strafe.

Das Urteil hat sich Inge F. nicht mehr mit angehört. Nach ihrer Aussage hat sie den Gerichtssaal umgehend verlassen, aufrecht, den Blick geradeaus, eine Frau, die ihre Zeugenpflicht erfüllt hat. Kein Hadern mit ihrem Schicksal ist zu spüren. Eine starke Frau.