Unbekannte zerstören eine Skulptur auf dem Friedhof für tot geborene Kinder in Ohlsdorf. Es ist schon der dritte Anschlag in wenigen Tagen.

Hamburg. Minutenlang steht sie stumm vor der zerstörten Marmor-Skulptur mit dem Titel "Ich trage dich in meinem Herzen". Trauer, Wut, Empörung - so richtig kann Susanne Schniering ihre Gefühle noch gar nicht ordnen. Wie gelähmt sei sie gewesen, als sie telefonisch von dem Anschlag auf das Denkmal erfahren habe, sagt sie.

Die 54-Jährige sieht an diesem Mittwoch auf dem Ohlsdorfer Friedhof zum ersten Mal die zerstörte Skulptur, die dem Andenken an Kinder gewidmet ist, die noch vor ihrer Geburt gestorben sind. Das fragile Kunstwerk der Schweizerin Beatrice Charen war der Mittelpunkt des Gedenkplatzes für nicht beerdigte Kinder. Jetzt steht nur noch ein kläglicher Rest auf dem noch intakten zartrosa Sockel. Schniering: "Es ergibt einfach keinen Sinn, dass jemand etwas so Verletzliches zerstört."

Wie von Sinnen muss ein Täter oder eine Täterin mit einem schweren Gegenstand, etwa einem Hammer oder einer Brechstange, auf die herzförmige Skulptur eingeschlagen haben. So heftig, dass das Kunstwerk zersplittert ist, selbst auf die Bruchstücke hat der Täter weiter eingedroschen - es war die reine Raserei. Als Susanne Schniering ein Fragment in die Hand nimmt, schießen ihr Tränen in die Augen.

Über das Warum zerbricht sie sich nun den Kopf - warum ausgerechnet eine Stätte zum Gedenken an tot geborene Kinder das Ziel eines derartigen Gewaltexzesses geworden ist. "Es muss jemand sein, der Bezug zu dem Thema hat, vielleicht jemand, der nicht damit fertigwird, ein Kind verloren zu haben", sagt Schniering. Der gezielte Anschlag zeuge von "unglaublicher Aggressivität", vom "Wahnsinn eines dunklen Geistes". Dass sich Zerstörungswillige den Gedenkplatz zufällig herausgepickt haben, hält sie für ausgeschlossen: Kurz nach einer Gedenkfeier am 25. September sei die Skulptur mit Kot beschmiert worden, am 3. Oktober habe jemand eine tief eingegrabene, kiloschwere Grableuchte aus dem Erdreich gezogen und ins Gebüsch geworfen. Der Anschlag auf die Skulptur, die eventuell von einem Steinmetz restauriert werden kann, sei der dritte in weniger als zwei Wochen.

Susanne Schniering, die selbst zwei Kinder im Mutterleib verloren hat, hat die Gedenkstätte 1999 mit Spendengeldern geschaffen - ein Ort der Stille und der Trauer für Menschen, deren Kind bereits vor Ende der Schwangerschaft gestorben ist und denen ein Platz zum Trauern fehlt. Zumal das Hamburger Bestattungsgesetz erst seit Anfang 2001 regelt, dass auch Fehl- oder Totgeburten und Föten unter 1000 Gramm ein würdiges Begräbnis erhalten.

Um Abschied zu nehmen, kommen täglich Angehörige der tot geborenen Babys zur Gedenkstätte im Ohlsdorfer Friedhof. "Ich mag gar nicht daran denken, wie entsetzt sie sind, wenn sie die Zerstörung hier sehen", sagt Susanne Schniering. Im Gedenken an ihre nicht beerdigten Kinder haben sie rund um die Skulptur bemalte Steine, Engel aus Gips, Schmetterlinge und Teddybären abgelegt. Auch Mütter, die ihre Kinder vor Jahrzehnten verloren haben und nicht wussten, wohin mit ihrem Schmerz, verweilen vor der Skulptur in der Nähe des Dichterhügels. Nicht selten bleiben Spaziergänger stehen, "einfach nur, weil sie den Gedenkplatz schön finden", sagt Schniering.

Der bei Friedhofsbesuchern beliebte "Stille Weg" führt an dem Platz vorbei, das Bestattungsforum und die Bushaltestelle sind nur wenige Meter entfernt - das Risiko, entdeckt zu werden, ist hoch. Vermutlich am vergangenen Wochenende, im Schutz der Dunkelheit, schlug der Täter zu. Ein Gärtner entdeckte am Dienstagmorgen die zersplitterte Skulptur und verständigte die Friedhofsverwaltung. "Ich arbeite hier seit 15 Jahren, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt, so einen Akt sinnloser Zerstörung", sagt Lutz Rehkopf, Sprecher der Hamburger Friedhöfe. Die Polizei sei umgehend eingeschaltet worden und gehe ersten Spuren nach. Zeugen werden gebeten, sich unter Telefon 428 65 67 89 zu melden.