In der Innenstadt gibt es nach einer stillen Übereinkunft von Planern und Architekten keine klassischen Bänke mit Rückenlehnen mehr.

Hamburg. Die Mittagssonne bringt das berühmte Chilehaus zum Leuchten und lässt es besonders plastisch wirken. Eine Touristin mit Rucksack und Stadtplan in der Hand blickt sich suchend um. Dann geht sie weiter, setzt sich langsam auf einen dunklen Mauervorsprung und packt ein Brötchen aus. Ihr Blick ist nicht erfreut, denn vor ihr donnern über die dort fünfspurige Willy-Brandt-Straße die Autos. Szenen wie diese spielen sich dauernd in Hamburgs Innenstadt ab: Wer einen kostenfreien Sitzplatz auf einer Bank sucht - so etwas Gemütliches mit Rückenlehne -, der wird diesen auf öffentlichen Plätzen fast gar nicht mehr finden. Und das hat Prinzip.

Architekten und Stadtplaner in Hamburg haben eine Art Abkommen geschlossen, auf öffentlichen Plätzen keine klassischen Bänke aufzustellen. Als Grund hört man: Sitzbänke würden Obdachlose anlocken.

"Es ist richtig, dass sich auf öffentlichen Plätzen im Bezirk Mitte fast keine klassischen Sitzbänke mit Rückenlehne mehr befinden. Das liegt wohl daran, dass es bei Planern und Architekten eine stille Übereinkunft gibt, diese zu vermeiden", sagt Andy Grote, Chef des Bezirksamts Mitte, dem Hamburger Abendblatt.

Jeder kann es selbst sehen: Eine Stadt, die so viel Wert auf die "Aufenthaltsqualität" legt, verhindert eben diese durch eine Architektur, die einen Ruhesuchenden nicht bedient. Wer sich gemütlich hinsetzen will und vielleicht seinen dann ausgeruhten Blick - auf zum Beispiel das Rathaus - richten will, kann dies vergessen. Außer er setzt sich auf einen eiskalten und steinharten Betonquader. Was die meisten Touristen dann auch notgedrungen (aber nicht lange) machen.

Auf dem Platz vor dem Rathaus gibt es keine einzige Sitzgelegenheit. Die 19 "Bänke" in der Nähe des Rathausmarktes sind Lattenroste ohne Lehne und schmerzhaft unbequem für alle, die dort länger sitzen.

Die Schikane gibt es seit etwas mehr als zehn Jahren. Hier Beispiele:

Im Jahr 1996 standen auf dem Getrudenkirchhof noch "Ruhebänke", die auch so bezeichnet wurden. Nach dem Umbau findet sich dort nun ein 70 Meter langer Steg, der nicht zum Sitzen einlädt - aber schick aussehen soll.

Am neuen Heubergplatz, der in Verlängerung der Hohen Bleichen geschaffen wurde, stehen sechs metallene, eckige Körper, die kalt, schief und hart den Sitzenden abweisen - aber schick aussehen sollen.

Am Gerhart-Hauptmann-Platz stehen 26 Einzelsitze, die eine Stuhlform aufweisen und eine Rückenlehne besitzen. Doch wer will sich da so vereinzelt hinsetzten? Die Planer scheinen davon auszugehen, dass die Innenstadt von Einzelwesen bevölkert ist, die weder kommunizieren noch zu zweit auftreten.

Das Jahr 2000 markiert die Änderung der Politik. Denn seitdem hat der Bezirk Mitte Außengastronomie in größerem Umfang erst erlaubt. Folge: Das gemütliche Sitzen ist heute möglich, wenn man in einem der Straßencafés Platz nimmt. Das kostenfreie Sitzen auf klassischen Bänken wurde konsequent abgeschafft. Was sich auch nicht änderte, als der Senat 2005 ein elf Millionen Euro teueres Sonderinvestitionsprogramm zur Neugestaltung öffentlicher Plätze auflegte und der damalige Bausenator Michael Freytag (CDU) versprach: "Die Lebensqualität wird sich in Hamburg steigern."

Hamburgs Vorzeigeplatz, der Domplatz, wurde 2009 für 1,2 Millionen Euro umgebaut und mit 39 weißen Acryl-"Kissen" ausgestattet - harte Plastikflächen.

Ganz offensichtlich ist die Strategie auf Plätzen, die nicht komplett öffentlich sind. Wie in Bahnhöfen: Auf Steinquadern, die am Hauptbahnhof als Notsitze funktionieren könnten, sind spitze Pyramiden errichtet. Die Hochbahn hat laut Obdachlosenzeitung "Hinz& Kunzt" eingestanden, die Sitze ihrer Bushäuschen (Norman Foster 1) bewusst unbequem zu gestalten. "Wenn ich 20 Minuten auf den Bus warten muss, kann ich nicht sitzen, weil ich Rückenschmerzen bekomme. Ich muss dann stehen", klagt "Hinz&Kunzt"-Leserin Ingeborg Mahn. Die Bushäuschen sind zudem zugig gestaltet, was die Aufenthaltsqualität nicht steigert.

Sitzbänke sind jedoch gewünscht, Seniorenbeiräte fordern es seit Langem explizit, so wie in Wandsbek. Dass es auch anders geht, zeigt der Besuch in Hamburgs modernstem Stadtteil. Die HafenCity ist das Dorado aller Ruhesuchenden: "Wir erhöhen den Anteil aller Sitzgelegenheiten mit Rückenlehnen auf 60 Prozent. Wir haben festgestellt, dass Bänke mit Lehnen von verschiedenen Benutzergruppen akzeptiert und für längere Phasen der Kontemplation bevorzugt werden", formuliert HafenCity-Chef Jürgen Bruns-Berentelg, der sich auch gegen Konzepte von Architekten durchsetzte.

"Mehrfach haben wir Sitzgelegenheiten und Bänke nachträglich mit Holz und Rückenlehnen ausgestattet, auch wenn das in den Planungen der Architekten nicht vorgesehen war. In Einzelfällen haben wir Architekten überzeugt, innerhalb des Grundgestaltungskonzeptes Bänke mit Lehnen zu planen", sagt Bruns-Berentelg. "Mit anderen Sitzgelegenheiten bietet die HafenCity mehr als 1000 Sitzplätze", sagt Sprecherin Henrike Thomsen. Weiterhin steht dort auch die mit 36 Metern wohl längste Sitzbank Hamburgs gegenüber dem Internationalen Maritimen Museum.

Bezirksamtschef Grote will sich nun auch für Bänke einsetzen. "Angesichts der Tatsache, dass die Menschen in der City alle möglichen Dinge als Sitzfläche nutzen, um sich auszuruhen, muss man darüber nachdenken, wieder richtige Bänke auf öffentlichen Plätzen aufzustellen." Der SPD-Politiker setzt auf Bürgerengagement: Er ruft Spender auf, die Kosten zu übernehmen. Der Stückpreis liegt bei rund 1000 Euro. Im Bezirk Mitte würden sich immer wieder Bürger melden, die Bänke spenden wollen. Das soll nun einfacher möglich werden.