Ein Kommentar von Matthias Gretzschel

Mitte September gab Altkanzler Helmut Schmidt im "Zeit-Magazin" zu Protokoll, dass die Unterdrückung der Demokratiebewegung in China 1989 vielleicht doch notwendig gewesen sei.

Diese Einschätzung hat Liao Yiwu, der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, im "Focus" jetzt heftig kritisiert. Tatsächlich muss es für einen Bürgerrechtler, der nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens vier Jahre lang in Haft saß, wie Hohn klingen, wenn ein hoch geachteter deutscher Ex-Kanzler Verständnis für das Vorgehen der KP zeigt. Wenn Schmidt nachempfindet, dass die Studentendemonstration für den damaligen chinesischen Staatschef Deng Xiaoping während des Besuchs seines sowjetischen Amtskollegen Gorbatschow ein "Gesichtsverlust" gewesen seien. So viel Einfühlung ist höchst fragwürdig, zumal nur vier Monate später auch Erich Honecker während eines Staatsbesuchs von Gorbatschow Polizisten auf Demonstranten prügeln ließ, weil auch er einen "Gesichtsverlust" nicht hinnehmen mochte. Glücklicherweise kam es damals in der DDR nicht zur "Pekinger Lösung".

Zu Recht wird Altkanzler Helmut Schmidt für seine scharfsinnigen politischen Analysen bewundert und gerühmt, zu denen er noch im hohen Alter fähig ist. Doch zeigt sein Beispiel auch, dass Alter eben nicht nur Weisheit bringen kann, sondern auch einen erschreckend kühlen Blick allein aus der Perspektive der Macht.