Welche Konsequenzen Hamburg aus der jüngsten Bildungsstudie ziehen sollte

In Deutschland gehörte es lange zum Selbstverständnis von Lehrern, Kultusministern und Schulsenatoren, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Was im Unterricht passiert, wie effektiv und erfolgreich die pädagogischen Interventionen sind, das war lange Zeit tabu. Leistungsvergleiche zwischen Klassen, Schulen, Schulformen, Ländern oder gar Staaten waren verpönt. "Die Sau wird vom Wiegen nicht fett", lautete die griffige Abwehrformel gegen die Zudringlichkeiten schnöder Empirie.

Dann erfasste der PISA-Schock das Land, und alles war plötzlich anders. Mit deutscher Gründlichkeit wurden die Schüler nun in immer kürzeren Abständen getestet. Und Hamburg - lange ein Ort des Widerstands - war zeitweilig sogar Vorreiter beim Messen und Wiegen. Die erste Langzeitstudie eines Schülerjahrgangs von Klasse fünf bis 13 fand hier statt und brachte wichtige Erkenntnisse zum Beispiel darüber, in welchen Klassenstufen welcher Schulformen Schüler zu wenig Lernfortschritte erzielen. Der jüngste Grundschul-Leistungstest, den Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) als Vorsitzender der Kultusministerkonferenz am Freitag in Berlin vorstellte, weist den Hamburger Viertklässlern nun in den Bereichen Lesen, Zuhören und Mathematik einen der letzten Plätze im Vergleich der 16 Bundesländer zu - wieder einmal.

Ein Ranking wie eine Bundesligatabelle hat etwas sehr Verführerisches: Man neigt dazu, die Platzierung absolut zu nehmen - und das ist grundfalsch. Im Fußball entscheiden Sieg und Niederlage über den Tabellenplatz. In der Schule "kämpft" jeder für sich selbst und nicht gegen andere. Wenn es eine Lehre aus PISA und allen Folgestudien gibt, dann diese: Die Ergebnisse müssen differenziert betrachtet werden.

So ist es wissenschaftlich und pädagogisch nicht sehr sinnvoll, die Stadtstaaten mit ihrem hohen Anteil an Zuwanderungskindern mit Flächenstaaten zu vergleichen, in deren Klassen fast nur Kinder mit Deutsch als Muttersprache sitzen. Ihnen fällt das Lesen, das Verständnis der Unterrichtssprache Deutsch mit Sicherheit leichter als Kindern, die vielleicht erst vor Kurzem zugewandert sind.

Es ist also bei Weitem nicht alles schlecht an Hamburger Grundschulen, aber es könnte, es muss eben besser werden. Der Knackpunkt ist ein Befund, der seit Jahren bekannt ist, ohne dass eine grundlegende Trendumkehr bislang gelungen ist: Rund 20 Prozent der Hamburger Jungen und Mädchen verlassen die Grundschule, ohne den Mindeststandard des bundesweit geltenden Leistungsniveaus erreicht zu haben. Ihr Scheitern in der Schule ist damit vorgezeichnet.

Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien - häufig kommt beides zusammen - ist bei diesen sogenannten Risikoschülern besonders hoch. In Hamburg werden deswegen schon die Viereinhalbjährigen auf ihren Sprachstand hin untersucht. Ziel ist es, vor der Einschulung mit gezielter Sprachförderung Defizite abzubauen. Jetzt muss gefragt werden, wie die Hilfsmaßnahmen verbessert werden können, denn offensichtlich ist das Ergebnis nicht optimal.

Richtig war auch die Einigung aller Rathaus-Parteien darauf, die Klassenfrequenzen in den Hamburger Grundschulen schrittweise abzusenken. Das wird zu mehr individueller Förderung führen und langfristig auch die Leistungen der Schüler anheben.

Nachdem Hamburg vor etlichen Jahren die verlässliche Halbtags-Grundschule eingeführt hatte, holte der Stadtstaat auf, weil die Grundschüler mehr Zeit zum Lernen hatten. Der Leistungsabstand zu den bayrischen Schülern verkürzte sich von einem auf ein halbes Jahr. Viel spricht daher dafür, jetzt in einem weiteren Schritt das Ganztagsangebot in der Primarstufe auszubauen.