Neustadt. Ein paar Äste waren die Wurzel allen Übels. Bis dahin lief die Nachbarschaft bestens, zehn Jahre lang. Doch als einer der Männer, die so dicht Tür an Tür wohnen, zur Säge griff und ohne Genehmigung einem Teil eines Baumes im benachbarten Garten eliminierte, war man sich fortan auch im Allgemeinen alles andere als grün. Denn der Baumbesitzer zog vor Gericht und klagte auf Schadenersatz. Etwa zwanzig Jahre lang geht das nun schon so, dass die Nachbarschaft zur Feindschaft geraten ist.

Jetzt hat das schlechte Verhältnis einen unrühmlichen Höhepunkt erreicht - und damit zugleich eine von beiden Seiten ungewollte Nähe erzwungen. Die beiden Männer, der eine auf der Anklagebank im Prozess vor dem Amtsgericht, der andere im Zeugenstuhl, trennen gerade mal geschätzte vier Meter - und doch scheinen Welten zwischen ihnen zu liegen, markiert durch frostige Blicke und abweisende Haltungen. Im April dieses Jahres soll Wolfgang N. (Name geändert) seine Abneigung noch sehr viel deutlicher zum Ausdruck gebracht haben. "Kanaker, Arschloch und Schwein" sind die verbalen Entgleisungen, die der 72-Jährige laut Anklage seinem Nachbarn an den Kopf geworfen hat und wegen derer er sich jetzt wegen Beleidigung vor Gericht verantworten muss. Der zierliche, verdrießlich und zugleich stur dreinblickende Mann mag sich zu den Vorwürfen indes nicht äußern.

"Die Beschimpfungen kamen aus dem Nichts", betont dagegen der Zeuge. Er habe sich damals an eine Nachbarin gewandt und sie gebeten, während seines bevorstehenden Urlaubs "ein Auge auf mein Haus zu haben", als der Kontrahent plötzlich hinter ihm stand und die Beleidigungen über ihn ausgeschüttet habe. Immer wieder gebe es Stunk mit dem Rentner, seit sie sich vor zwanzig Jahren wegen eines Baumes auf seinem Grundstück in die Wolle bekamen. "Mal stand er hinter der Hecke und beschimpfte mich, mal schüttete er Wasser auf mich", schildert der 63-Jährige. "Wenn ich ihn angezeigt habe, hatte ich ein paar Wochen Ruhe, dann ging es wieder los." Auch sein Auto sei schon mal beschädigt und sein Haus mit Farbe besprüht worden.

Doch wer dafür verantwortlich ist, wisse er nicht. Anzeigen, die er gegen unbekannt erstattete, seien im Sande verlaufen. "Ich habe aber vor diesem Nachbarn Angst und fürchte mich sogar, in meinen eigenen Garten zu gehen. Es ist eine unerträgliche Situation", klagt der Mann und ringt die Hände. "Dabei wünsche ich mir von Herzen ein friedliches Beisammensein."

Doch davon ist es auch nach Einschätzung anderer Nachbarn meilenweit entfernt. Das mutmaßliche Opfer habe sie seinerzeit gebeten, auf sein Haus und Auto zu gucken, weil schon Scheiben eingeschlagen worden seien, erzählt eine 33-Jährige. "Was erzählst du da", habe der in der Nähe stehende Angeklagte daraufhin geschäumt. "Er fühlte sich wohl angegriffen", glaubt die Zeugin. Wolfgang N. habe offensichtlich gemeint, er werde für die eingeschlagenen Scheiben verantwortlich gemacht. "Dann wurde es sehr unangenehm, und das Ende vom Lied war, dass er 'Arschloch' gesagt hat." Eine weitere Zeugin erzählt, dass sie mal gehört habe, wie der Angeklagte seinen Nachbarn als "Kanaker" tituliert hat. Angesichts dieser Zeugenaussagen ringt sich der schon mehrfach wegen Beleidigung vorbestrafte 72-Jährige zu einem Geständnis durch. Er habe sich damals "wahnsinnig aufgeregt" und in den Worten vergriffen, räumt er mit sichtlichem Unbehagen ein.

Es habe "mehrere Entgleisungen gegeben", fasst der Staatsanwalt seine Überzeugung nach der Beweisaufnahme zusammen. Insbesondere das Wort "Kanaker", das Wolfgang N. geäußert habe, sei "schändlich und gehört sich nicht, denn es ist eine Beleidigung mit Bezug auf die Hautfarbe", betont der Ankläger. "Ich bin 72 und möchte endlich meine Ruhe haben", grollt der Angeklagte in seinem letzten Wort. "Aber ständig werde ich von dem anderen angegriffen und ..." Den Rest verschluckt er angesichts einer deutlichen Geste seines Verteidigers, nunmehr besser zu schweigen.

Wolfgang N. habe sich "wegen eines Missverständnisses zu Beschimpfungen hinreißen lassen", fasst die Amtsrichterin zusammen und verhängt 1500 Euro Geldstrafe. Mit dem Urteil werde das schon so dauerhaft beschädigte Nachbarschaftsverhältnis wohl nicht wieder in Ordnung gebracht, betont sie. "Aber es liegt an Ihnen, sich zurückzuhalten." Daran appelliert auch der Staatsanwalt. "Wenn Sie nicht zusammenkommen, gehen Sie sich aus dem Weg", rät er dem Angeklagten. Bei etwaigen weiteren Beleidigungen drohe eine Bewährungsstrafe. "Und irgendwann wäre auch mal Gefängnis angesagt." Das kann Wolfgang N. kaum anstreben. Da hätte man auch nicht die Nachbarn, die man sich wünscht.