Europaparlamentarier Jan Albrecht (Grüne) warnt vor Datensammelwut und Cybercrime

Hamburg/Brüssel. Speicherung von Flugpassagierdaten, internationale Ermittlungen, Fahndung via Facebook und andere soziale Netzwerke: Polizei und Ermittlungsbehörden werden sich in den kommenden Jahren vollkommen neu aufstellen müssen, um den Anforderungen eines vereinten Europas - und den Entwicklungen der Kriminalität - gerecht zu werden. Das sagt Jan Albrecht, Mitglied des Europaparlaments, Innenexperte der europäischen Grünen und Interessenvertreter für Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen in Brüssel und Straßburg. Heute veranstaltet er an der Uni den zweiten "Grünen Polizeikongress", bei dem sich 120 Experten und Interessierte aus Polizei, Wissenschaft und Politik mit eben jenen Herausforderungen der Zukunft beschäftigen.

In Bezug auf die Verbrechensbekämpfung stehe Europa am Scheideweg, sagt der Jurist und Innenexperte. Während derzeit Planungen gigantischer Datenbanken zur Erkennung von Gefahrenpotenzialen liefen, werde die Ausbildung der Beamten vor Ort vernachlässigt. Unter anderem zwei Europabeschlüsse, die vermutlich bis Ende 2013 gefasst werden, würden das Leben der Bürger zukünftig massiv beeinflussen, sagt Albrecht. So sei eine Initiative zur Fluggastdatenspeicherung in Vorbereitung, die es europäischen Sicherheitsbehörden ermöglichen wird, sämtliche Fluggastdaten von Passagieren europäischer Flüge einzusehen. Ziel ist die Erkennung von Terroristen und Drogenschmugglern nach US-Vorbild. Sicherheitsbehörden bekommen, wenn sich die insbesondere von Großbritannien betriebene Initiative durchsetzt, Zugriff auf die Daten aller Reisenden, die die EU per Flugzeug verlassen oder die einreisen. In entsprechenden Datensätzen, die bereits jetzt bei global agierenden Reiseagenturen verfügbar sind, sind sensible Daten wie Kreditkartennummern, Telefon, Adresse und sogar zollfreie Einkäufe mit der Bordkarte verzeichnet. Geplant sei, so Albrecht, die Datenbanken in 27 staatlichen Datenbanken der EU-Mitgliedsdaten zu spiegeln und danach fortlaufend per "Rasterfahndung" zu durchsuchen. "Da entsteht eine Art Kollektivverdacht", sagt Albrecht. "Die dafür notwendigen Millionen wären besser investiert, wenn man sie für die Einstellungen zusätzlichen Personals an den Flughäfen aufwenden würde."

Ähnlich weit gediehen sind laut Albrecht die Europapläne zur sogenannten Ermittlungsanordnung. Geplant ist, Ermittlungsbehörden zu ermöglichen, zum Beispiel Hausdurchsuchungen auch in anderen EU-Staaten anzuordnen, wenn dort Beweismittel vermutet werden. Ein spanischer Staatsanwalt könnte demnach, so Albrecht, die Hamburger Polizei zu einer Hausdurchsuchung veranlassen, ohne dass dies ein deutsches Gericht zuvor genehmigen müsste. Ein Szenario, dem auch die Bundesrechtsanwaltskammer äußerst skeptisch gegenübersteht.

Albrecht kritisiert in diesem Zusammenhang vor allem das Fehlen gemeinsamer Standards in Strafverfolgungs- und Befugnisfragen: "Ohne EU-weit gültige Mindeststandards birgt das Abkommen Gefahren", findet der Europapolitiker. "Gemeinsame rechtliche und politische Grundlagen fehlen in diesen Bereichen noch immer", sagt Albrecht, der bereits seit 2009 grüner Abgeordneter des Europäischen Parlaments ist.

Dem Problem des Cybercrimes, dem Verbrechen im Netz, sei allerdings tatsächlich nur mit vereinten Kräften beizukommen, sagt der gebürtige Braunschweiger: "Hier sind Alleingänge vollkommen zwecklos", so Albrecht. Allerdings dürfe man den Bereich der Verbrechen im Internet nicht losgelöst von der gewöhnlichen Kriminalität betrachten. Albrecht: "Bei 80 Prozent der Taten, die im Netz begangen werden, handelt es sich um relativ profane Betrugs- oder Untreuetaten." Dabei sei der Computer lediglich das Werkzeug. "Insofern kann man bei diesen Delikten eigentlich noch nicht einmal von echter Cyberkriminalität sprechen."

Albrecht fordert eine moderne Polizeipolitik, die den internationalen Austausch von Ermittlern und Kenntnissen forciert. "Dass Europol ein eigenes Cybercrime-Abwehrzentrum bekommen wird, ist die eine Seite. Entscheidend aber ist die Zusammenarbeit der Polizeien in der Breite. Der Polizeibeamte vor Ort braucht mehr Fachwissen, mehr Weiterbildung und Vernetzung mit den Kollegen." Wie auch in anderen Bereichen sei es falsch, bei Ermittlungen auf Computer zu setzen statt auf Menschen. Albrecht: "Es ist bedenklich, wie viel Macht wir an die Maschinen abgeben. Ich wünsche mir, dass weiterhin Ermittler Verdachtsfälle erkennen und analysieren und nicht Programmierer."