Eine Würdigung von Matthias Gretzschel

Gestern wurde nicht nur der Tag der Deutschen Einheit gefeiert, sondern auch das Jubiläum einer Institution, mit der sich eine geglückte kulturelle Wiedervereinigung verbindet: Im Beisein von Kulturstaatsminister Neumann beging die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig ihr 100-jähriges Bestehen.

Obwohl die Deutsche Bücherei im Oktober 1913 durch das rein privatwirtschaftliche Engagement des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gegründet wurde, war ihr Anspruch von vornherein national. Sie sollte das gesamte deutsche Schrifttum sammeln, also die Funktion einer Nationalbibliothek erfüllen. Das hat sie über die historischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts hinweg geleistet. Obwohl die deutsche Teilung 1948 zur Gründung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt führte, kooperierten beide Institutionen und erfüllten ungeachtet aller ideologischen Grabenkämpfe ihre Archivfunktion in vorbildlicher Weise.

1990 war es nur folgerichtig, dass der Einigungsvertrag die Zusammenführung der Bibliotheken vorsah. Trotz anfänglichen Misstrauens geschah das auf faire und partnerschaftliche Weise. 2006 erhielt die in Leipzig und Frankfurt ansässige Institution den Namen Deutsche Nationalbibliothek, die sie im Prinzip von Anfang an gewesen ist. Die größte Herausforderung der Bibliothek, die Neumann gestern als "Gedächtnis der Kulturnation" würdigte, ist künftig die Archivierung digitaler Inhalte.