Was es heißt, auch in späten Jahren eine neue Beziehung und ein neues Leben zu beginnen, zeigt das Hamburger Ehepaar Prinz.

Hamburg. Zärtlich streichelt Gerhard Prinz seiner Frau Marlene den Arm, während er tief in ihre Augen blickt und sie sanft auf die Lippen küsst. Wohlgemerkt, Gerhard Prinz ist kein Teen oder Twen, sondern ein gestandener Mann im reifen Alter - 84. Nun könnte man meinen, dass er mit der 14 Jahre jüngeren Marlene schon lange verheiratet ist, so innig sind ihre Blicke, so liebevoll ist ihr Umgang. Intensiv und gewachsen scheint ihre Liebe. Aber die beiden haben am 6. September gerade mal ihren ersten Hochzeitstag gefeiert. "Papierene Hochzeit" heißt das im Volksmund.

Die Goldene Hochzeit hatte Gerhard Prinz mit einer anderen Frau erlebt. Er war weit über ein halbes Jahrhundert lang in seiner ersten Ehe verheiratet. Dass er nach dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren und nach 61 erfüllten Ehejahren noch einmal eine solche Liebe erleben darf, hätte er nicht gedacht - gewünscht hat er es sich schon. Anfang 20 war er, ein junger Bursche, als er seiner ersten Frau den Antrag machte. Die beiden heirateten und bekamen zwei Kinder. Das Leben nahm seinen Lauf, die Kinder wurden erwachsen, gründeten ihre eigenen Familien. Gerhard Prinz ging nach langen Jahren als Finanzbuchhalter in Rente, half noch ehrenamtlich als Seniorenberater bei der IHK. Das Ehepaar genoss die Ruhe des Alters. Dann wurde seine Frau sehr krank und verstarb. Der trauernde Witwer fiel in eine schwermütige Stimmung, vergoss viele Tränen, wie er sagt. Aber gleichzeitig war da der Gedanke, dass es so nicht weitergehen konnte. Ihm war klar, dass er sein Leben, auch jenseits der 80, ändern musste. Ein großer Schritt für den Rentner, vor dem er aber nicht zurückwich: "Ich fühlte mich geistig und gesundheitlich fit. Also gab es keinen Grund, nicht noch einmal etwas Neues zu wagen."

So begann Gerhard Prinz mit über 80 Jahren ein neues Leben. Er zog aus der niedersächsischen Provinz nach Hamburg in eine Zweizimmerwohnung und verließ damit das vertraute Umfeld, den Ort, der über ein halbes Jahrhundert seine Heimat gewesen war. Seine Kinder begrüßten das sehr, schließlich war der Vater nun in ihrer Nähe.

Mit dem Umzug in die Großstadt veränderte Gerhard Prinz aber nicht nur seinen Wohnort, sondern auch seine geistige Haltung änderte sich: "Das neue Leben in Hamburg machte mich frei und offen." Er wollte nicht mehr alleine sein, deshalb suchte er bewusst den Kontakt zu anderen. Für ihn stand fest, dass er auf Dauer "nur zu zweit" glücklich werden konnte.

Prinz fand Anschluss im Kirchenkreis, der einen Seniorentreff veranstaltete. Die Teilnehmer waren ihm eigentlich zu "alt", aber in der Turngruppe ergaben sich Kontakte zu Jüngeren. Als einziger Mann und damit "Hahn im Korb" streckte Prinz vorsichtig seine Fühler aus.

Und da verguckte er sich: in Marlene, eine der Turnschwestern, knapp 70.

Marlene wollte mit Männern eigentlich nichts mehr zu tun haben. Aber der attraktive Neuzugang in der Gymnastikgruppe war ihr von Anfang an sympathisch. "Ich wollte nie wieder eine Beziehung führen", sagt sie. "Ich hatte mit dem Thema abgeschlossen. Aber Gerhard hatte etwas Besonderes". 26 Jahre lang war sie verheiratet gewesen, hatte zwei Töchter großgezogen. Aber sie und ihr Mann lebten sich auseinander, die Ehe scheiterte und wurde geschieden. Schon als Kind hatte Marlene davon geträumt, nach Hamburg zu ziehen. Nach der Scheidung ergab es sich dann, dass ein befreundeter Arzt ihr von einer freien Wohnung in Hamburg erzählte. Dem Umzug aus Lauenburg stand also nichts mehr im Wege.

Damit wagte Marlene, wie Gerhard Prinz, den Schritt in ein anderes Leben. Sie fand einen neuen Partner, jedoch scheiterte die Beziehung nach acht Jahren: Er ging fremd, und sie war am Boden zerstört. Sie hatte keine Lust mehr, sich wieder mit einem Mann einzulassen. Aber es kam anders.

Marlene glaubt sogar, dass es Bestimmung war, ihren Mann Gerhard kennengelernt zu haben. Kurz vor dem ersten Treffen stand in ihrem Horoskop, dass ihr ein "Prinz" begegnen würde. Und dann kam er - Gerhard Prinz. Offen lächelte er ihr während der Gymnastik zu und suchte das Gespräch. Nach der dritten Turnstunde fasste er sich ein Herz und gab ihr seine Visitenkarte - mit der Einladung zu einem Kaffee bei sich zu Hause.

Marlene nahm die Einladung an und beide verstanden sich auf Anhieb: "Wir führten gleich Gespräche, die tiefer gingen. Von Anfang an war mir sehr wohl in seiner Gegenwart", sagt sie.

Aus den Nachmittags-Dates wurden Verabredungen zum Abendessen. Der erste Kuss, von Gerhard Prinz geschickt als Bruderschaftskuss mit einem Glas Sekt eingeführt, blieb nicht der Einzige. "Ich habe sie gleich gewarnt, dass ich ein Wiederholungstäter bin", sagt er heute schmunzelnd. Prinz legte aber von Anfang an Wert darauf, seiner Partnerin zu vermitteln, dass er ernste Absichten habe und dass seine Zuneigung zu ihr mit großem Respekt verbunden sei. Eine lockere Beziehung, nur auf Basis einer Freundschaft, kam für ihn nicht infrage. Er wollte, dass die neue Frau an seiner Seite möglichst bald seinen Namen tragen sollte. Im Dezember lernten die beiden sich kennen, Während des ersten gemeinsamen Urlaubs im Mai machte er ihr den Heiratsantrag. Marlene nahm sich drei Tage Bedenkzeit. Dann sagte sie Ja.

Ein Schritt, der im Umfeld der beiden nicht nur auf Zustimmung stieß. Der Kontakt zum Sohn von Gerhard Prinz ist abgebrochen. Weil, wie Prinz vermutet, der Sohn weder begreifen noch akzeptieren könne, dass der Vater sich so schnell nach dem Tod der Mutter wieder neu verliebte. Seine Tochter hingegen freute sich über das neue Liebesglück ihres Vaters. Marlene Prinz' jüngere Tochter hatte vollstes Verständnis für den neuen Ehemann und Stiefvater, die ältere Tochter entfremdete sich schon vor einigen Jahren.

Doch das Paar Prinz hätte sich auch durch nichts und niemanden davon abhalten lassen, den Bund der Ehe einzugehen. Gefeiert wurde im kleinen Kreis mit den Töchtern, deren Familien und Freunden. "Harmonisch und sehr romantisch war es", schwärmen die beiden noch heute, ein Jahr nach der Eheschließung, von der Feier. Liebevoll haben sie alles in einem Bildband dokumentiert mit dem Titel: "Solange wir zusammenbleiben, ist die Welt in Ordnung".

Doch wer nun denkt, dass dieses junge Glück nur aus eitel Sonnenschein besteht, der irrt. Natürlich kabbelten sie sich ab und zu, sagen sie übereinstimmend, seien aber "niemals böse miteinander". Anstatt Konflikte pedantisch auszudiskutieren, gingen sie sich in solchen Fällen erst mal aus dem Weg, damit Disharmonien gar nicht erst entstehen. Ihre Beziehung sei modern, sie redeten offen über alles, was sie am anderen störe. Jeder lasse dem anderen den Freiraum, den er braucht. Obwohl Marlene Prinz in die Wohnung ihres Mannes gezogen ist, machen die beiden nicht alles gemeinsam. "Ich rufe zwischendurch nicht auf dem Handy an, wenn Marlene unterwegs ist", sagt Gerhard Prinz. Früher sei er anders gewesen. Aber er habe aus den Fehlern, die er gemacht habe, gelernt.

Jeden Tag sage er seiner neuen Gattin, dass er sie lieb habe. Das habe er leider bei seiner ersten Frau versäumt. Nach wie vor hat seine verstorbene Frau einen festen Platz - in seinem Herzen, nicht nur optisch im Fotorahmen. Oft reden Marlene und Gerhard Prinz über die Verstorbene. "Sie gehört zu unserem gemeinsamen Leben", betont Marlene Prinz.

Jeden Tag genießt das verliebte Paar seine Ehe aufs Neue. Sie reisen viel, nehmen an Veranstaltungen teil und kommen oft ins Gespräch mit anderen Menschen. "Irgendwie hat man doch immer einen Punkt zum Anknüpfen. Und es ist so bereichernd, egal mit welcher Generation man spricht", sagen beide. Bisher habe es auch noch keinen gestört, wenn sie sich in der Öffentlichkeit küssen und liebkosen. Das ist auch etwas, was Gerhard Prinz an sich als Wandel bemerkt: "Ich bin offener und liebevoller geworden. Der Kuss vor jedem Essen gehört dazu, egal wo."

Wenn Marlene und Gerhard Prinz ein Rezept für eine neue Liebe im Alter angeben müssten, dann würde das Ehepaar es so formulieren:

"Lebe ein neues Leben, aber lösch das alte nicht aus. Zieh das Positive aus der Vergangenheit, lerne aus Deinen Fehlern und hab den Mut, Dich zu verändern. Genieß das Leben in vollen Zügen: Die Türen stehen offen. Den richtigen Eingang finden und hinein - man muss nur hindurchgehen!"