Der öffentliche Sektor darf das Lohndumping nicht mitmachen

Es ist für uns selbstverständlich, dass jede Woche ein Wagen der Stadtreinigung vorfährt und unseren Müll abholt. Wir zahlen schließlich dafür, dass die Stadt funktioniert. Dass es Müllmänner in orangefarbener Arbeitshose gibt und andere, die Gelb tragen, macht für die meisten Hamburger keinen Unterschied. Hauptsache, die Tonne ist wieder leer.

Für die Mitarbeiter ist es ein großer Unterschied: Wer Orange trägt, ist direkt bei der Stadtreinigung beschäftigt. Die "gelben" Männer arbeiten für eine Tochterfirma und haben am Monatsende bis zu 500 Euro weniger in der Brieftasche. Damit das Geld zum Leben reicht, schuften viele nach Feierabend in einem Zweitjob. Das ist ungerecht, aber muss man sich darüber empören? Schließlich spart die Stadt so Geld - unser Steuergeld.

In einem Dossier hat das Hamburger Abendblatt in der vergangenen Woche dieses und andere Beispiele dokumentiert, die zeigen, dass die Stadt Hamburg als Arbeitgeber in vielen Bereichen nicht anders tickt als private Unternehmen. Sie lagert Geschäftszweige in Billig-Tochterfirmen aus, sie setzt auf Leiharbeit, sie vergibt Aufträge an Firmen, die ihre Mitarbeiter schlechter bezahlen und behandeln - und wird damit selbst zum Lohndrücker. Das ist schockierend, aber muss man da zuerst ansetzen? Schließlich gibt es noch viel krassere Fälle, mit noch schlechteren Arbeitsbedingungen.

Zunächst einmal macht der Blick auf die prekären Arbeitsverhältnisse im Namen der Stadt klar: Es sind eben nicht nur wenige Aktiengesellschaften oder Heuschrecken, die für die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich verantwortlich sind. In Deutschland vollzieht sich ein Erosionsprozess, der letztlich jeden von uns treffen kann. Schon jetzt gibt es an vielen Arbeitsplätzen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Das verletzt die Ehre, untergräbt die Moral und rüttelt am gesellschaftlichen Konsens. Man muss gar kein Horrorszenario entwerfen, um sich Sorgen zu machen.

Diese Entwicklung birgt sozialen Zündstoff. Auch weil sie dramatische Folgen für unseren Sozialstaat hat. Wer zu wenig zum Leben verdient, muss zum Jobcenter, um zumindest auf Hartz-IV-Niveau zu kommen. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Aufstocker stetig gestiegen. Vier Milliarden Euro zahlt Deutschland dafür im Jahr, in Hamburg sind es jährlich 150 Millionen Euro. Es ist gut, dass es diese Sicherungssysteme gibt. Andererseits bieten sie Unternehmen die Chance, sich in subventionierter Arbeit einzurichten und den Staat so auszubeuten. So wichtig die Hartz-Reformen waren - das kann nicht ihr Ziel gewesen sein.

Es ist nicht so, dass die Politik das nicht sieht. Der SPD-Senat hat sich auf die Fahnen geschrieben, der Spirale von Lohndumping und unsicheren Arbeitsverhältnissen etwas entgegenzusetzen. Hamburg soll ein Landesmindestlohngesetz bekommen, das eine Untergrenze von 8,50 Euro vorschreibt. Außerdem sollen Leiharbeiter künftig genau so bezahlt werden wie ihre fest angestellten Kollegen. Es ist gut, dass die Politik sich auf diesen mühseligen Weg macht. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nur ein erster Schritt sein kann. Denn natürlich reichen 8,50 Euro nicht, um in einer Stadt wie Hamburg würdevoll zu leben; geschweige denn für eine auskömmliche Rente.

Und da kommt die Stadt Hamburg wieder ins Spiel. Sie ist nicht nur direkt oder indirekt Arbeitgeber, sondern hat eben auch eine Vorbildfunktion. Genau wie es selbstverständlich ist, dass der Müll jede Woche abgeholt wird, darf es keinen Unterschied im Gehalt machen, ob die Arbeitshosen der Müllmänner orange oder gelb sind. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, und sie sollte in unserem Namen als Bürger, nicht als Steuerzahler beantwortet werden.