Für viele Beobachter scheint die Bundestagswahl 2013 schon gelaufen. Doch Steinbrück könnte den Urnengang spannend machen.

So richtig rund lief die Entscheidung in der K-Frage zugunsten von Peer Steinbrück nicht. Dementsprechend fatal fällt das Echo aus. Bei n-tv etwa heißt es, der Hamburger SPD-Politiker bewerbe sich "in erster Linie auf das Amt des Oppositionsführers". Die Tageszeitung "taz" konstatiert, nun stehe schon vor der Bundestagswahl fest, wen die Deutschen ins Bundeskanzleramt wählen: nämlich Angela Merkel. Der "Spiegel" fragt auf seinem Titel: "Wer wird Kanzlerin?" Und auch die Demoskopen, die mitunter schneller fragen, als viele denken können, kennen schon das Ergebnis: Fast zwei Drittel der Deutschen (63 Prozent) glauben Emnid zufolge nicht, dass Steinbrück tatsächlich Bundeskanzler wird. Nur 27 Prozent der Befragten erwarten, dass er im nächsten Jahr Angela Merkel ablöst. Derzeit dürfte die Union 37 Prozent der Stimmen erlangen, die SPD bekäme nur 27 Prozent. Weil die Grünen bei 13 Prozent verharren, sieht die rot-grüne Zukunft mit 40 Prozent ziemlich schwarz aus, wären heute Wahlen.

Nur wird eben erst in einem Jahr gewählt. Und schon wird es interessant. Im September 2011 konnten ebenfalls bei Emnid SPD und Grüne noch auf eine absolute Mehrheit der Sitze hoffen: Damals lagen die Sozialdemokarten bei 30 Prozent, die Grünen bei 19 Prozent. So schnell kann es gehen. In der Union sollte man sich auch an das Desaster von 2005 erinnern. Damals wurden schon munter Pöstchen für die erwartete bürgerliche Koalition verteilt, nachdem sämtliche Umfragen die CDU stabil über 40 Prozent und die FDP bei sieben Prozent sahen. Im Sommer 2005 trauten die Demoskopen der CDU mit 48 Prozent die Alleinregierung zu. Am Wahlabend des 18. September landete Angela Merkel dann bei 35,2 Prozent.

Die Wähler sind flexibel geworden. Alte Milieus lösen sich auf, selbst vermeintliche Stammwähler gehen schon einmal fremd. Schaut man sich die Realpolitik an, kann das nicht verwundern. Die rot-grüne Bundesregierung schickte als erste Bundeswehrsoldaten in den Kampfeinsatz und hatte den Mut zu weitreichenden Sozialreformen. Die bürgerliche Koalition hingegen verabschiedet sich noch schneller von der Kernenergie als ursprünglich geplant und schafft die Wehrpflicht ab. Und die Union hat sich längst für einen flächendeckenden Mindestlohn entschieden. Wer nicht an Parteien oder Personen, sondern an Programmatik und Pragmatik gebunden ist, kann schnell ins Schleudern geraten. Oder sich bei der Wahl plötzlich umentscheiden.

Zweifellos nützt Angela Merkel, dass die Deutschen um die prekäre Lage in Europa wissen. In Krisenzeiten wechselt man nur ungern die Regierung aus. Auf der anderen Seite kann Steinbrück zu Recht darauf verweisen, dass er vermutlich nicht nur Kanzler, sondern auch Krise kann: Gerade das Duo Merkel/Steinbrück war es, dass 2008 Deutschland vom Abgrund wegregierte. Der Slogan "Ich oder das Chaos" wird gegen Steinbrück nicht funktionieren. Ganz im Gegenteil: Nicht nur die SPD versucht sich in der Mitte, auch die Grünen schielen auf bürgerliche Wähler: Nicht ohne Grund kokettiert selbst ein adrett geschniegelter Jürgen Trittin mit dem großen Europapolitiker Helmut Kohl und preist sich als solide wie seriöse Alternative zur Union und FDP an. Das mag für viele seltsam wirken, es aber überhaupt zu versuchen, hat viel mit der Verfasstheit der bürgerlichen Koalition zu tun: Union und Liberale begannen mit einem Fehlstart und irren seitdem durch die Regierungspolitik. Zank und Hader, Beschimpfungen ("Gurkentruppe") und Drohungen wie jetzt beim Betreuungsgeld werfen ein schlechtes Bild auf eine bürgerliche Regierung. Von den Skandalen und Skandälchen um Schwindler und Schnäppchenjäger ganz zu schweigen. Nicht einmal zur Kanzlermehrheit bei der Euro-Frage hat es bei Schwarz-Gelb gereicht.

Dass bei dieser Koalition keine Wechselstimmung aufkommen will, ist einerseits Beleg für die Souveränität der Kanzlerin und die Schwäche der Opposition. Der vermeintlichen Troika gelang es vielleicht, die SPD im freien Fall zu stabilisieren. Mehr nicht. Das ist angesichts der Vorlagen, die Union und FDP gaben, verdammt wenig. Nun hat die Partei in den Wahlkampfmodus geschaltet - mit offenem Ausgang.

Die nächsten Monate dürften spannend werden. Für Prognosen ist es nicht nur viel zu früh, sie sind auch unpassend: Der Souverän sind die Wähler, sie entscheiden die Wahl.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt