Als ich letzte Woche Geburtstag hatte, dachte ich: Mit den Jahren nehme ich die Natur und die Jahreszeiten immer bewusster wahr. So erinnere ich mich gerade im Herbst an Gerüche, Geräusche und Gefühle der Kindheit, die tief eingeprägt sind. Wie begeistert sammelten wir glänzende Kastanien, bunte Blätter und duftende Pilze, zarte Wal- und Haselnüsse. Wie selbstvergessen liefen wir Laterne und sangen, ließen selbst gebaute Drachen steigen oder machten Kartoffelfeuer. Wie schön ist es auch heute, wenn diese sinnliche Jahreszeit prachtvolle Dahlien und bunte Astern hervorbringt, rotbäckige Äpfel und orange Kürbisse. In diesen Tagen gibt es viele gute Gründe, die verschwenderische Kreativität des Schöpfers zu besingen und für die Ernte zu danken.

Ein Pastor hatte sich vorgenommen, jedes Jahr zum Erntedankfest die Bauern seiner Gemeinde zu besuchen. Als Bauer Hinnerk ihm seinen Hof zeigte, die gefüllten Scheunen, die wohlgenährten Tiere und den beeindruckenden Maschinenpark, war er voller Stolz. "Aber Hinnerk", mahnte der Pastor, "vergiss nicht, wem du das zu verdanken hast: Gott hat bei alledem mitgeholfen." "Weiß ich, Herr Pfarrer", antwortete Hinnerk, "aber Sie glauben gar nicht, wie runtergekommen der Hof war, als Gott ihn noch allein bewirtschaftete."

Stolz oder Dank? Leistung oder Geschenk? Natürlich können wir stolz sein, wenn uns etwas besonders gelungen ist. Aber wenn wir in eine liebevolle Familie geboren wurden, besondere Talente mitbekommen oder die Liebe zu einem anderen Menschen gefunden haben, können wir ebenso wenig dafür wie für Sonne und Regen. Wenn wir das Leben dankbar als Geschenk annehmen, werden wir selbst genießbarer und lebendig. "Nicht klagen und nicht loben können, nicht weinen und nicht danken können, das ist die Maulwurfskrankheit, die alles grau und unentschieden lässt", schreibt der Theologe Fulbert Steffensky. So ist es. Darum will ich in diesen Tagen mit wachen Sinnen durch Hamburg und Umgebung gehen. Will aufmerksamer und dankbarer werden für die zarte Schönheit und das kleine Gelingen. Weil dieser Segen nicht selbstverständlich ist.

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