Neue Hoffnung für Kritiker. Bürgerinitiativen haben ihren Wunschgutachter für die Wilhelmsburger Reichsstraße durchgesetzt.

Hamburg. Die Kritiker der geplanten Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße haben neue Hoffnung, den Bau der autobahnähnlichen Straße verzögern und in ihrem Sinne verändern zu können. Das bezirkliche Beratungsgremium zur Verlegung der Reichsstraße hat jetzt mit großer Mehrheit den Bezirk Hamburg-Mitte beauftragt, ein Gutachten bei dem renommierten Verkehrsplaner Hermann Knoflacher aus Wien einzuholen. Der Österreicher ist der Wunschgutachter der Bürgerinitiativen auf der Elbinsel. Seine Philosophie ist es, Städte und Siedlungen nicht von Autos besetzen und kontrollieren zu lassen.

Sollte Hermann Knoflacher in seinem Gutachten zu dem Schluss kommen, die bisherige Planung weise erhebliche Mängel auf, müsste die Planung neu aufgerollt werden. Der Baubeginn würde sich verzögern. Davon ist Jochen Klein überzeugt: "In den Planunterlagen ist großes Potenzial drin, die Sache weiter nach hinten zu bringen", sagt der Sprecher der Bürgerinitiative Engagierte Wilhelmsburger.

Der Planfeststellungsbeschluss, also die Baugenehmigung, soll Ende des Jahres erfolgen. Die für den Bau der verlegten Reichsstraße zuständige Projektmanagementgesellschaft Deges geht von vier Jahren Bauzeit aus. Die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation hält es zwar noch für möglich, dass die neue Wilhelmsburger Reichsstraße im Jahr 2016 fertig sein könnte - aber nur, "wenn das Planverfahren ohne Komplikationen, sprich: ohne erhebliche Änderungen oder Klagen, verläuft", wie Behördensprecherin Helma Krstanoski auf Abendblatt-Anfrage mitteilt.

Mit einem zusätzlichen Gutachten Knoflachers steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu eben solchen erheblichen Änderungen der Planung kommen könnte. Und dass streitbare Wilhelmsburger, eine starke Bürgerbewegung hat auf der Elbinsel Tradition, nicht vor Gericht ziehen werden, gilt als höchst unwahrscheinlich.

Jochen Klein hält es für "ärgerlich", dass die Behörde für Verkehr in der Öffentlichkeit immer noch an dem Fertigstellungstermin im Jahr 2016 festhalte. In der Diskussion im bezirklichen Beratungsgremium ist immer wieder mal von 2018 die Rede, ohne dass Vertreter der Behörde oder der Deges widersprechen. Frühestens 2017, wahrscheinlich 2018 oder auch nie werde die verlegte Wilhelmsburger Reichsstraße fertig sein, sagt auch Michael Rothschuh von der Bürgerinitiative Zukunft Elbinsel. Er hatte sich vehement für Knoflacher als Gutachter eingesetzt. Nur der Wiener Experte garantiere ein unabhängiges Urteil. Im Kern geht es darum, sagt Michael Rothschuh, dass der Verkehrsexperte aus Österreich untersuche, ob die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße eine angemessene Lösung sei, die Verkehrsprobleme auf der Elbinsel zu lösen.

Zwar hat Professor Knoflacher noch nicht zusagt, die Planung zur verlegten Wilhelmsburger Reichsstraße begutachten zu wollen. Die Bürgerinitiativen haben aber keinen Zweifel, dass er den Auftrag annehmen wird. Knoflacher sei darauf vorbereitet, ist Jochen Kleine sicher.

Der Wiener Verkehrsplaner soll möglichst schon am nächsten Treffen des Beratungsgremiums zur Verlegung der Reichsstraße am 11. Oktober teilnehmen. "Dem Gutachten soll eine gemeinsame Begehung Herrn Knoflachers mit den Mitgliedern des Bezirksberatungsgremiums sowie eine öffentliche Veranstaltung mit ihm vorgeschaltet werden", heißt es in dem Auftrag des Beratungsgremiums.

Ursprünglich hätte die verlegte Wilhelmsburger Reichsstraße bereits im Jahr 2013 fertig sein sollen. Die alte Reichsstraße, auf der täglich mindestens 50 000 Fahrzeuge fahren, zerschneidet das Gelände der Internationalen Gartenschau, die im nächsten Jahr 2,5 bis drei Millionen Besucher erwartet. Jetzt sollen sogenannter Flüsterasphalt, Schutzwände und ein Höchsttempo 50 die Touristen vor Verkehrslärm schützen.

Wie berichtet, begründete die Deges im Mai auf Abendblatt-Anfrage die deutlich verlängerte Bauzeit mit "Detailplanungen und notwendigen Abstimmungen zu den umfangreichen und komplizierten Schnittstellen Straße/Schiene", die viel Zeit in Anspruch genommen hätten. Für die Realisierung der Bauphasen müsse in den bestehenden Betrieb des Bahnhofes Wilhelmsburg und in den durchgehenden Streckenverkehr eingegriffen werden. Dazu sei ein kompliziertes Sperrpausenmanagement erforderlich. Aus diesen Gründen habe die Deges erst so spät die Bauzeit realistisch einschätzen können.

Die verlegte, fünf Kilometer lange Wilhelmsburger Reichsstraße soll knapp 140 Millionen Euro kosten. Den größten Teil davon zahlen der Bund und die Deutsche Bahn. Auf der 28 Meter breiten, autobahnähnlichen Straße ist das Höchsttempo 80 vorgesehen. Die Bürgerinitiativen auf der Elbinsel halten die Verkehrspolitik Hamburgs grundsätzlich für falsch, Fahrzeuge im großen Stil in die Stadt zu führen.