Einst Gegner, heute Ikonen ihrer Partei: Die früheren Kanzler Helmut Kohl und Helmut Schmidt, vereint in weiser Altersmilde

Aus den Büchern, die von und über Helmut Kohl und Helmut Schmidt geschrieben worden sind, könnte man sich mühelos eine zentnerschwere Spezialbibliothek zusammenstellen. Wenn man wollte. Aber wer will das schon! Bei Titeln wie: "Der Kurs der CDU. Reden und Beiträge des Bundesvorsitzenden 1973-1993". Oder: "Jahrhundertwende. Gespräche mit Lee Kuan Yew, Jimmy Carter, Schimon Peres, Valéry Giscard d'Estaing, Ralf Dahrendorf, Michail Gorbatschow, Rainer Barzel, Henry Kissinger, Helmut Kohl, Henning Voscherau". Puh.

Leider verbirgt sich auch hinter dem launigen Titel "Hausputz hinter den Fassaden" (Autor: Helmut Kohl) so ein staubtrockenes Ding, davon hatte man sich eigentlich mehr erwartet als langatmige Abhandlungen über innenpolitische Reformprojekte.

Aber wir schweifen ab. An der Menge der Bücher, die von oder über einen Politiker geschrieben worden sind, liest sich auf jeden Fall seine Bedeutung ab. Vor allem, wenn der Strom auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt nicht versiegt! Und über Helmut Schmidt und über Helmut Kohl wird ja noch geschrieben, was das Zeug hält. Erstaunlich. Denn Helmut Schmidt, der von 1974 bis 1982 Bundeskanzler war, wird im Dezember 94 Jahre alt, und sein Nachfolger Helmut Kohl, der von 1982 bis 1998 regierte, ist inzwischen auch schon 82.

Beide Männer gelten als Ikonen ihrer Parteien, ein entschiedener Wille zur Verklärung herrscht hier wie da. Nach der Schwamm-drüber-Methode. Denn Schmidt und Kohl waren ja am Ende ihrer Amtszeiten in ihren Parteien alles andere als beliebt. In der SPD regte man sich damals über Schmidts Atompolitik und sein Festhalten am Nato-Doppelbeschluss auf; in der Union war man bekanntlich empört, weil Kohl die Spendenaffäre, die die Partei lebensgefährlich durchschüttelte, unter Hinweis auf sein gegebenes Ehrenwort vom Tisch fegte. Parteiintern ist es damals ziemlich frostig um die beiden geworden. Was sie selbst nicht vergessen haben.

Apropos vergessen. Die Älteren unter uns erinnern sich ja noch an die Fernsehduelle zwischen Schmidt und Kohl, die immer darin gipfelten, dass Schmidt sich kräftig schnäuzte, um seinen Abscheu gegen das, was Kohl sagte, kundzutun. Was ihm dann diese wütenden Elefantenblicke eintrug, für die Kohl jahrzehntelang berühmt war.

Inzwischen ist Altersmilde eingezogen. Helmut Schmidt kann heute zugeben, Kohl "lange unterschätzt" zu haben. Donnerstagabend, in Berlin bei "Maybrit Illner", hat Schmidt sich sogar nicht gescheut, Kohls Zehn-Punkte-Programm vom November 1989 eine "Meisterleistung" im Vorfeld der Wiedervereinigung zu nennen. Eine Meisterleistung, die viele spätere Fehler entschuldige! Wow. Das war durchaus berührend, wenn man sich vor Augen hielt, wie scharf diese beiden Männer in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren aufeinander losgegangen sind.

Zufällig wurde Helmut Kohl am selben Abend in Berlin gefeiert. Genauer gesagt feierte die CDU Helmut Kohls Start im Bundeskanzleramt, der sich am 1. Oktober zum 30. Mal jährt. Kohl, sichtlich gerührt und von Krankheit gezeichnet, hat bei der Gelegenheit gesagt, dass er als Politiker "eine fantastische Zeit" gehabt habe. Und wenig später hat er sich ausdrücklich bei denen bedankt, die ihn einst "provoziert und herausgefordert" hätten. Auch das hatte eine schöne Größe.

Da sind sie also, gewissermaßen an den Marken ihrer Tage, wie es bei Theodor Körner so treffend heißt. Helmut Kohl und Helmut Schmidt. Die erbitterten Gegner von einst, die das Kriegsbeil irgendwann begraben haben. Zwei im In- und Ausland hoch geschätzte Staatsmänner auf Lebenszeit. Zwei, die - bei aller Differenz - aus demselben Grund in die Politik gegangen sind: weil sie Deutschland in einem befriedeten Europa verankern wollten. Aber auch: zwei alte Männer, die physisch schwer angeschlagen sind. Die ihre Frauen verloren haben und trotzdem privat noch einen Neuanfang gewagt haben. Sehr beeindruckend.