Der Hamburger Jura-Professor Ulrich Karpen ist weltweit im Einsatz, um Staaten beim Aufbau demokratischer Strukturen zu helfen.

Hamburg. Ulrich Karpen sieht es ganz pragmatisch. "Wenn eine Anfrage kommt, packe ich meinen Koffer und fahre los." Dann tauscht der 72-Jährige sein schönes Haus mit Garten und professoralem Arbeitszimmer in Rahlstedt gegen eine dubiose Unterkunft mit unbequemen Betten und fragwürdiger Hygiene in Krisengebieten. Der Hamburger Jura-Professor ist Experte für Verfassungsrecht und hilft Staaten auf die Sprünge, wenn sie sich zum ersten Mal ein Grundgesetz geben oder bestehende undemokratische Regelungen überarbeiten wollen. Ulrich Karpen ist ein Hamburger Exportschlager in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit.

Gerade erst ist einer seiner "Schützlinge" wirklich flügge geworden: Seit zwei Jahren hat Ulrich Karpen an der Verfassung für das Kosovo mitgearbeitet, am 10. September hat die internationale Gemeinschaft ihre Aufsicht über das Balkan-Land beendet und dem jüngsten Staat Europas die volle Souveränität übergeben. "Jetzt gilt dort nur noch die Verfassung, das macht mich ein bisschen stolz", sagt der Hamburger Jurist.

Begonnen hat alles vor mehr als 20 Jahren. Da saß Karpen für die CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft und lernte den Vizepräsidenten aus Guatemala kennen, der der Hansestadt einen offiziellen Besuch abstattete. "Wie die meisten lateinamerikanischen Staaten hat auch Guatemala keine lange demokratische Tradition", erinnert sich der Jurist. "Aber sie wollten etwas für ihre Rechtsstaatlichkeit tun." Also gab Karpen Tipps und Ratschläge, wie das System demokratischer und verlässlicher werden könnte.

Dass Demokratie mit Rechtsstaatlichkeit die beste Staatsform ist, hat der Rechtsgelehrte früh erfahren. 1938 in Danzig geboren, konnten der Junge, seine Mutter und seine beiden Brüder die Heimatstadt im Januar 1945 an Bord der "Hansa", dem Schwesterschiff der "Wilhelm Gustloff", verlassen. Während die "Hansa", 1922 als "Albert Ballin" für die Hapag bei Blohm+Voss gebaut, aber kurz nach dem Ablegen wegen eines Maschinenschaden vor der Halbinsel Hela auf Reede gehen musste, fuhr die "Wilhelm Gustloff" weiter und wurde in der Nacht versenkt. "Es hätte auch uns treffen können", sagt Karpen und schaut nachdenklich. "Es war wohl Schicksal, Glück, Fügung, dass wir überlebten."

Die Familie fand in Kiel eine neue Heimat, der Vater kam 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft. Doch die Eltern trennten sich bald. Ulrich war ein guter Schüler, gab Nachhilfeunterricht und verdiente sich so die Eintrittskarten für die Oper. "Außerdem war ich bei den Pfadfindern und im Ruderverein. Das gab mir Halt", sagt Karpen.

Der junge Mann liebte es, mit Sprache und Sprachen umzugehen. Er studierte Deutsch, Griechisch und Latein. "Aber ich wollte nicht Lehrer werden. Also wechselte ich zu Jura - und bin dann doch ein Lehrer des Rechts geworden."

Karpen studierte in Kiel, Köln und den USA, lehrte in Freiburg, Würzburg und Berlin, bevor er 1982 eine Professur in Hamburg annahm. Seine Zeit in den Vereinigten Staaten, sein Engagement im Studentenparlament und seine Mitarbeit in der wissenschaftlichen "Görres-Gesellschaft" festigten die Grundüberzeugung des Juristen: "Der Mensch möchte Meinungsfreiheit genießen und mitreden. Das ist Demokratie."

Zum Wegbereiter für diese Staatsform wurde Karpen auch in Südafrika. "Mein Hamburger Kollege Ingo von Münch, Hans-Peter Schneider aus Hannover und ich haben diese Aufgabe 1992 übernommen", erinnert sich der Professor. "Sehr interessant, aber auch anstrengend, wir haben oft und viel nachts gearbeitet." 1996/97 trat die Verfassung in Kraft.

Karpens Auftraggeber sind in der Regel nicht die Staaten, sondern das Bundesjustizministerium, die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Weltbank oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). "Zum Team gehören immer internationale Kollegen, es geht auch überhaupt nicht darum, anderen Ländern oder Gesellschaften deutsches Recht überzustülpen."

Als "Geburtshelfer im sensiblen Umfeld" versteht sich Karpen. "Bei meiner Arbeit will ich bei den Gastgebern die Überzeugung stärken, dass sie ihrem Land die Gesetze geben können, die dann auch umsetzbar sind. Ich stelle keine provozierenden Fragen, aber spreche zum Beispiel in blumigen Worten über die Meinungsfreiheit in Deutschland." Und so hat er schon in Mazedonien und Kroatien, in Afghanistan und Ägypten, in Georgien und der Ukraine gearbeitet.

Daran zu denken, in welchem Land man sich befindet, aber auch nicht zu kuschen, ist ein Leitmotiv des Juristen. "Ich wäge ab, ob man in einem Staat, in einer Gesellschaft ein Saatkorn für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Zukunft legen kann. Wenn ich zu einem positiven Ergebnis komme, fahre ich hin." Nach diesem Prinzip stuft Karpen zum Beispiel Nordkorea als hoffnungslosen Fall ein. "Dort gibt es keine Diskussionskultur, und eine Kooperation wäre nicht fruchtbar."

Für sein aktuelles Projekt reist Karpen regelmäßig in die Kurden-Metropole Erbil im Norden des Irak. Im Auftrag von Weltbank und OECD kümmern sich der Hamburger und seine Kollegen aus Portugal, Holland, Großbritannien und Frankreich um Regelungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Kontrolle der Verwaltung.

Ulrich Karpen könnte auch zu Hause Bücher schreiben, mit Ehefrau Barbara klassische Musik hören und in die Oper gehen. Er könnte einfach das Leben genießen, wie es so viele andere Ruheständler tun. Aber der Jura-Professor hat noch Ziele. "In Russland lohnt es sich anzupacken", sagt er entschieden. Und sollte der Auftrag aus Moskau kommen, dann packt Ulrich Karpen seinen Koffer und fährt los. Ganz pragmatisch als Handlungsreisender in Sachen Demokratie.