Das Hamburger Filmfest traut dem Publikum Filmkunst jenseits der Blockbuster zu

Pünktlich zur Eröffnung nölen sie wieder, die Spielverderber, lustigerweise gern solche, die bislang gar nicht als ausgemachte Cineasten aufgefallen sind: Braucht Hamburg überhaupt ein Filmfest, wenn das auch 20 Jahre nach seiner Gründung doch gar nicht heranragt an die Top-Liga, an Cannes, Venedig, die Berlinale? Sollte man sich nicht konzentrieren, was man denn nun sein möchte: Theaterstadt (bald wieder), Musikstadt (auf dem besten Wege), muss es denn nun auch noch Filmstadt sein?

Die Antwort ist einfach: Ja!

Ja, man sollte sogar ganz unbedingt Filmstadt sein wollen - und sei es nur für zehn Tage. Das Hamburger Filmfest nämlich ist vor allem eines: ein Publikumsfestival. Und zwar eines, das sein Publikum ernst nimmt. Das weniger auf den Glanz nach außen schielt als vielmehr in der Stadt selbst als Solitär strahlt. Wachsende Stadt - dieses Motto darf man in einer Großstadt wie Hamburg nicht nur räumlich verstehen. Wachsen kann und muss eine Stadt auch intellektuell. Ein Baustein dafür ist das Filmfest. Es zeigt in diesem Jahr 147 Filme aus 45 Ländern - nur 32 davon haben bislang einen Verleih. Alle anderen kommen also nach Lage der Dinge niemals regulär ins Kino. Nur das Filmfest unter Albert Wiederspiel, der seine Leitung ganz klar auch als politischen Auftrag versteht, bietet die Möglichkeit, all diese Werke aus der großen weiten, vielschichtigen Welt des Films auf der großen Leinwand zu sehen, cineastische Perlen zu entdecken, den eigenen Horizont zu erweitern, sowohl inhaltlich als auch formal. Und das Hamburger Publikum muss dazu keineswegs überredet werden, es nutzt diese Möglichkeit mit treuer Leidenschaft.

Kinofilme wie der soeben angelaufene neue Til-Schweiger-Blockbuster bedienen bewusst einen Massengeschmack. Das ist vollkommen in Ordnung. Das Hamburger Filmfest allerdings mit seiner Independent-Ausrichtung und seinem Anspruch (mal mehr, mal weniger geglückt eingelöst) ist ein Beweis dafür, dass es in dieser Stadt ein sehr großes Publikum neben dem Mainstream gibt, ein Publikum, das nicht unterfordert sein will und das man nicht unterschätzen darf. Menschen, die eben nicht schon vor jedem Kinoabend ziemlich genau wissen (wollen), wie der sich abspielen wird, sondern die Lust auf Entdeckungen haben, die sich einlassen, die etwas wagen.

Man kann darüber streiten, ob es geschickt programmiert ist, das Festival nicht mit einem Kracher wie Fatih Akins Lokalkomödie "Soul Kitchen" zu eröffnen (einer Gelegenheit, die sich so natürlich nicht in jedem Filmjahr ergibt), sondern mit einem Film aus dem indisch-pakistanischen Grenzgebiet, den kurioserweise nicht einmal die Hauptdarsteller selbst bislang auf großer Leinwand gesehen haben. Man kann das aber auch konsequent finden - ein Filmfest ist auch eine Plattform, um sich zu präsentieren: Verleihern, Produzenten, Regisseuren, Kollegen und vor allem den Kinobesuchern. Und mit allein 25 Debütfilmen macht sich das Hamburger Filmfest auch für den Nachwuchs stark.

Es ist also richtig und unbedingt notwendig gewesen, dem Filmfest etwas mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Qualität ist nicht umsonst zu haben. Dass es mit der im Vergleich immer noch viel zu geringen finanziellen Ausgestaltung überhaupt so machbar ist, grenzt manchmal schon an ein kleines Wunder, zumal in einer Großstadt, der zweitgrößten des Landes immerhin, die seit gestern Abend ganz ohne Frage auch wieder eines ist und ungehemmt sein darf: eine Filmstadt.