Das Gymnasium Rahlstedt stellt Arbeitszimmer des Lyrikers Detlev von Liliencron aus. Bis 1909 lebte der Schriftsteller in dem Stadtteil.

Rahlstedt. Das Leder des Sessels ist pergamentdünn und brüchig, den grünen Filzbezug des Schreibtisches musste er neu aufziehen, weil sich Motten jahrzehntelang daran verköstigt hatten. Es hat Volker Wolter, Leiter des Gymnasiums Rahlstedt, Arbeit gekostet, die Möbel aus dem Arbeitszimmer des Lyrikers Detlev von Liliencron wieder annähernd in den Zustand zu bringen, in dem sie zu Lebzeiten des Dichters gewesen sein müssen. Damals, zwischen 1901 und 1909, als der große Lyriker des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Rahlstedt lebte.

Die Möbel und etwa 150 gerahmte Bilder aus dem Arbeitszimmer, die von morgen an dauerhaft im Gymnasium Rahlstedt ausgestellt werden, hätten einen "hohen kulturhistorischen Wert", sagt Schulleiter Wolters. In monatelanger Arbeit hat er die beiden Sessel, zwei Kommoden, den Schreibtisch und den Beistelltisch gemeinsam mit einem Freund im eigenen Keller restauriert. Bis es jedoch dazu kommen konnte, haben die Möbel einen abenteuerlichen Weg genommen.

Als 1971 das Haus Liliencrons an der Rahlstedter Straße 39 abgerissen werden sollte, bemühten sich viele um das Arbeitszimmer des in Kiel geborenen Schriftstellers und einstigen Offiziers der preußischen Armee. Den Zuschlag erhielt ein Hotelierpaar aus Kellinghusen, die Möbel standen bis zur Pleite des Hotels 1997 im Frühstücksraum. "Dann begann wieder das große Zerren. Viele wollten die Möbel zurück in Rahlstedt wissen, doch keiner legte Geld auf den Tisch", sagt Wolters über die Diskussionen in der Rahlstedter Kulturszene. Das Checkbuch zückte schließlich ein anderer: Claus Grossner, Investmentbanker und Mäzen, erwarb das Zimmer für einen "erträglichen Preis", wie Wolters sagt, "weil niemand mitbot". Grossner stellte die Möbel und Bilder zuerst in dem ihm gehörenden Richard-Dehmel-Haus in Nienstedten aus, bevor 2009 - im 100. Todesjahr Liliencrons - das Gezanke um den Nachlass erneut begann.

Die schleswig-holsteinische Landesbibliothek, Kellinghusen und Rahlstedt wollten die Möbel ausstellen. Wolter schrieb einige Briefe an Grossner, und schließlich bekam Rahlstedt den Zuschlag - gegen die Zusage, die stark ramponierten Möbel zu restaurieren. Für Literaturliebhaber und Hobbyrestaurateur Wolter war es eine "Herzensangelegenheit", auch wenn er dem Dichter distanziert gegenübersteht. "Aber welcher Stadtteil, außer vielleicht Eppendorf mit Wolfgang Borchert, kann sich schon auf einen so bedeutenden Schriftsteller beziehen", sagt Volker Wolter.

Nach zwei Monaten Ausstellungszeit in der Kieler Landesbibliothek und der anschließenden Suche nach einem passenden Ausstellungsraum in Rahlstedt ist das Arbeitszimmer nun wieder zurück. Im erst vor einer Woche eingeweihten neuen Forum des Gymnasiums Rahlstedt haben die Möbel und Bilder einen angemessenen Platz gefunden, findet Wolters. "Das Wohnhaus lag nicht fern von hier, und der Lieblingsspazierweg Liliencrons führte über das heutige Schulgelände." Damit ist das Gymnasium Rahlstedt neben dem Christianeum in Winterhude mit seinem Otto-Ernst-Zimmer die zweite Hamburger Schule, die das Arbeitszimmer eines heimischen Schriftstellers ausstellt. Liliencrons Spazierpfad, der heutige Heestweg, lag zu seiner Zeit noch an einer Schafsweide und hatte im Volksmund den pittoresken Namen Schaapsköddeltwiet. Damals gehörte Rahlstedt noch nicht zu Hamburg und war ein weitläufiger Villenvorort.

Dass es Detlev von Liliencron hierher verschlug, hat der lange erfolglose Dichter seinem späten Ruhm zu verdanken. Erst Ende des 19. Jahrhunderts gewann der zuvor ständig vom Bankrott bedrohte Schriftsteller an Bedeutung. Plötzlich feierten ihn Dichter wie Rainer Maria Rilke und Heinrich Heine. Vor allem die Naturalisten sahen in ihm ihren Vordenker. Kaiser Wilhelm II. zahlte dem altgedienten Offizier nun ein jährliches Ehrengehalt von 2000 Mark, und ein Umzug von der Altonaer Palmaille in das noble Rahlstedt wurde 1901 möglich. Auch das Arbeitszimmer stammt aus dieser Zeit.

Zwar schrieb Liliencron sein bekanntestes Gedicht "Trutz, Blanke Hans" nicht in Rahlstedt, sondern in seiner Zeit als Hardesvogt auf der Insel Pellworm. Dennoch sei er eine wichtige Figur für Rahlstedt, sagt Wolters. "Für wenige Jahre war Rahlstedt die Pilgerstätte deutscher Schriftsteller, man hofierte ihn regelrecht."

Beobachtungen seiner Umwelt detailliert wiederzugeben sei des Dichters Stärke gewesen. Dafür habe er mitunter auch Worte neu erfunden, so Wolter. So schön jedoch seine Sprache war, so zwiespältig war sein Charakter. Seine Spielsucht und der dadurch ständig drohende Bankrott zwangen ihn einst, aus dem Militärdienst auszutreten. Als Militarist, der sich unter anderem aber mit seinem Freund Max Liebermann für die Abschaffung des Paragrafen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, einsetzte, passte er auf merkwürdige Weise nicht in seine Zeit. "Er hat in seinem Zeitgeist gelebt, doch wenn es ihm zu viel wurde, war er impulsiv", sagt Volker Wolter.

Fast wie ein Gegenentwurf wirkt der ruhige Schulleiter. Auf spätere Umdeutungen Liliencrons als frühen anti-reaktionären Warner vor dem drohenden Faschismus will sich Wolter nicht einlassen. Dafür hat er sich zu sehr mit der Person beschäftigt, gemeinsam mit einer Oberstufenklasse sogar einige Briefe Liliencrons entziffert. Schulleiter Wolters sagt: "Sicher ist zumindest geklärt, dass Liliencron eine absolute Sauklaue hatte."