Parteien doktern an Symptomen, statt den Arbeitsmarkt weiter zu reformieren

In der Koalition mit den Grünen haben die Sozialdemokraten die Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt beschlossen, in der Großen Koalition mit der Union die Rente mit 67. Mit beiden Entscheidungen haben schon damals viele Genossen gehadert, und bis heute tut sich die Partei, die sich als Sachwalter der Arbeitnehmerinteressen versteht, schwer damit. Denn unterm Strich sind beides auch Rentenkürzungsprogramme: die Hartz-Reformen, weil sie zu einem starken Anstieg geringfügiger Beschäftigung geführt haben, die weniger Rentenansprüche nach sich zieht; die Rente mit 67, weil die wenigsten Arbeitnehmer bis zur gesetzlichen Altersgrenze von ihren Arbeitgebern beschäftigt werden - also entsprechende Abschläge von ihren Altersbezügen hinnehmen müssen.

Beides tritt nicht heute überraschend zutage: Im Gegenteil - das war von Anfang an so beabsichtigt. Der Anstieg der Rentenbeiträge sollte gebremst und damit die Arbeit im Land bezahlbar bleiben. Das ist gelungen. Auch deswegen steht Deutschland in der Krise heute besser da als seine Nachbarn. Allerdings zahlt die Arbeitnehmerseite einseitig die Zeche. Dass das bei gleichzeitig steigenden Privatvermögen zu Missstimmungen in einer Partei führt, die das Soziale im Namen trägt, ist folgerichtig. Aber eben auch selbst verursacht.

Und mit dem hastigen Renten-Reparaturbetrieb, den die SPD-Führung nun aufgelegt hat, wird das auch schwer zu beheben sein. Ein paar Zuschüsse aus Steuermitteln hier, ein bisschen Beitrag mehr da sind zwar unterm Strich teuer, ändern aber nichts am Grundproblem und koppeln die gesetzliche Rente allenfalls noch mehr von der persönlichen Arbeits- und damit auch Beitragsleistung ab.

Die einfache Weisheit "Sozial ist, was Arbeit schafft", stimmt in Zeiten prekärer Beschäftigungsverhältnisse allenfalls noch bedingt. Eine gute Altersvorsorge - egal ob umlagefinanziert, kapitalgedeckt oder aus Steuermitteln bezahlt - kann nur durch solide Arbeitsverhältnisse garantiert werden. Nur wer gut verdient, kann entsprechend Beiträge und Steuern zahlen oder privat vorsorgen. Wer gute Renten versprechen will, muss demnach für gute Jobs sorgen. Niedrigere Hürden beim Kündigungsschutz etwa könnten Unternehmen den Entschluss zur Festeinstellung erleichtern. In Dänemark zum Beispiel funktioniert das. Statt des Herumdokterns an den Symptomen eigener Entscheidungen und das schicksalsergebene Starren auf den demografischen Wandel wären weitere grundlegende Reformen am Arbeitsmarkt nötig. Die Rente ist so lange sicher, solange unter Berücksichtigung steigender Produktivität das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern stimmt - unabhängig von deren Altersstruktur. Neben den registrierten Arbeitslosen gibt es noch weitere Millionen Arbeitsfähiger, die in das System integriert werden könnten. Eine große Aufgabe, die jede Menge weiteres Konfliktpotenzial bietet. Davon aber hat die SPD bereits mehr als genug.

Möglicherweise geht es den Partei-Oberen derzeit deshalb auch weniger um die Zukunft der Rente als darum, das passende Programm zum richtigen Kanzlerkandidaten zusammenzubauen. Dabei gilt es, bündnisfähig in viele Richtungen zu bleiben, weder Arbeitnehmer noch Wirtschaft zu verprellen - und sich möglichst wenig selbst und frühere Beschlüsse zu verleugnen.

Große Würfe sind im Vorfeld von Bundestagswahlen nicht zu erwarten. Übrigens auch nicht aus dem Lager der Union, wo Sozialministerin Ursula von der Leyen ihr politisches Schicksal mit der Zuschussrente verknüpft hat. Ein Vorhaben, das so systemfremd und wirkungslos wie die SPD-Pläne ist, ihren Namen aber in den Sozialgeschichtsbüchern verewigen und sie für höhere Aufgaben empfehlen soll. Deshalb bleibt die Rente vorerst unsicher.