Ihre Häuser stehen dort, wo eigentlich keine stehen dürfen. Die Anwohner fordern Rechtssicherheit - um anbauen zu dürfen.

Groß Borstel. Jan Ritter ist hier groß geworden. In dem schönen Haus von 1912, das sein Urgroßvater am Weg beim Jäger in Groß Borstel gebaut hat. Dass es mit dem Jugendstilbau und den 15 Nachbarhäusern Probleme gibt, haben der 51-Jährige und seine Nachbarn erst in den vergangenen Jahren so nach und nach mitgekriegt. Denn die 16 Gebäude mit den Hausnummern 125 bis 155, die sich an den Borsteler Jäger schmiegen, das schöne Wäldchen, das sie vom Flughafen trennt, sind in einem Gebiet errichtet, das laut Flächennutzungsplan eine Grünfläche ist. Die Krux: Die Häuser sind teilweise um die 100 Jahre alt und damit sehr viel älter als der Flächennutzungsplan, der nach Behördenangaben aus den 1970er-Jahren stammt. Einen Bebauungsplan gibt es für das Gebiet nicht. Die Häuser genießen daher lediglich Bestandsschutz. An- oder Umbauten sind nur schwer oder gar nicht durchsetzbar.

Doch damit, nur geduldet zu sein, wollen sich Ritter und seine Nachbarn nicht länger abfinden. "Als wir mitbekommen haben, dass wir hier nur Bestandsschutz haben, hat uns das alle aus der Bahn geworfen", sagt Andrea Mühlhäuser, deren Elternhaus ebenfalls betroffen ist. Sollte sie das Haus eines Tages übernehmen, möchte sie die Möglichkeit haben, "es umzubauen und beispielsweise als Zweifamilienhaus zu vermieten". Dazu wären aber Umbauten nötig, um es in zwei Einheiten umzuwandeln. Da es aber nur Bestandsschutz als Einfamilienhaus habe, sei unklar, ob die Trennung in zwei Bereiche vom Bauamt auch tatsächlich genehmigt würde.

"Wir sind der vergessene Teil von Groß Borstel", sagt Hayo Lewerentz, der mit seiner Frau Svenja eine Unterschriftenaktion unter den Anwohnern initiiert hat, um ihrem gemeinsamen Anliegen beim Bezirk Nachdruck zu verleihen. Er hatte auf seinem 2100 Quadratmeter großen Grundstück ein weiteres Wohnhaus für seine Eltern errichten wollen, die Behörde hatte die Pläne jedoch kategorisch abgelehnt.

Der Regionalausschuss FuLA (Langenhorn-Fuhlsbüttel-Alsterdorf-Groß-Borstel) in Bezirk Nord hat sich inzwischen bereits mehrfach mit dem Thema beschäftigt und will nun endlich eine Lösung herbeiführen, denn der Zustand sei nicht haltbar, sagt Jörg Lewin, der Vorsitzende des Regionalausschusses.

"Bestandsschutz wird immer etwas unterschiedlich definiert", sagt Lewin, der als Stadtplaner und Architekt vom Fach ist. "Die konservative Ausrichtung sagt: So wie das Gebäude jetzt da steht, mit der vorhandenen Nutzung, besteht Bestandsschutz. Man kann aber auch sagen: Dort ist jetzt Wohnnutzung, also hat das Wohnen Bestandsschutz."

Für eine mögliche Flughafenerweiterung werde das Gebiet nicht mehr gebraucht, diese "Wohninsel", wie Lewin die 16 Häuser nennt, wolle niemand mehr abschaffen.

Eine Änderung des Flächennutzungsplans sei nicht zu erwarten, aber: "Auf Bezirksebene gibt es die Chance, den Bestandsschutz genau zu definieren. Wir sind der Auffassung, man müsste die Wohnnutzung festschreiben", sagt Lewin. Inzwischen stünden auch alle Fraktionen im Bezirk dahinter.

"Die Grundstücke hinter dem Borsteler Jäger befinden sich im Flughafen-Sperrgebiet. Der Flughafenbetrieb ist zwangsläufig mit Lärm verbunden, der auf die Bewohner in dieser Zone einwirkt", sagt Peter Hansen, Sprecher des Bezirksamts Nord. Die Bebauung der rückwärtigen Grundstücke sei weder städtebaulich noch landschaftsplanerisch gewollt und deshalb in drei Fällen bislang abgelehnt worden. Dort solle ein Grünstreifen verbleiben, um im Sinne des Naturschutzes den Übergang zu dem kleinen Wäldchen zu bewahren. "In der Zukunft müssen weiterhin die Bauabsichten der Grundeigentümer vorsichtig austariert werden im Sinne des Bestandsschutzes. Ein weiterer Ausbau des Wohnens im Flughafen-Sperrgebiet dürfte von anderen zu beteiligenden Behörden im Interesse des Flughafenbetriebes abgelehnt werden", so Hansen.

Der Fluglärm ist für die Bewohner der Häuser aber längst kein akzeptables Argument mehr dafür, dass man ihnen das Aus- und Umbauen verweigern will. Sie leben schließlich dort. "Daran stört sich hier kaum mehr jemand", sagt Hayo Lewerentz. Der Ausbau der Gebäude am Flughafen wirke wie eine riesige Lärmschutzwand. "Was stört, ist eher die Straße."

Große Hoffnung setzen die Groß Borsteler nun auf den Paragrafen 34 des Baugesetzbuches. Der besagt, wenn es keinen rechtsgültigen Bebauungsplan oder andere Vorschriften gibt, hat man das Recht, innerhalb von bebauten Ortsteilen zu bauen, wenn sich das Bauvorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.

Auf diesen Paragrafen setzt auch Anwohnerin Annette Roth, die ihr Haus erst vor fünf Jahren gekauft hat und von dem Ärger böse überrascht wurde. "Wir möchten einfach Rechtssicherheit." Der zweifache Vater Jan Ritter hofft, dass das Haus seines Urgroßvaters noch lange steht. "Aber wenn meine Jungs an dieser Stelle einmal ein neues bauen wollen, dann darf es nicht heißen, das geht nicht. Denn das wäre alles plötzlich wertlos."