Der Zirkus um Apple ist grotesk - es ist nur ein Computer- und Telefon-Hersteller

Es ist genau ein Jahr her, dass viele junge Erwachsene auf dem New Yorker Zucotti-Platz ihre Zelte aufschlugen. Unter dem Motto "Occupy Wall Street" (Besetzt die Wall Street) machten sie ihrem Unmut Luft über die Finanzkrise und eine gefühlte Ungerechtigkeit. Unter dem Motto "Wir sind die 99 Prozent" prangerten sie ein Finanzsystem an, in dem eine kleine Finanzoligarchie zunächst Milliarden erspekuliert, dann die Welt an den Rande des Abgrunds zockt und sich vom Steuerzahler retten lässt. So bunt die Schar der Camper war, so chancenlos blieb ihr Protest, weil sie keine Stimme fanden, wohin sie die Welt entwickeln wollen.

Nur wenige Fußminuten entfernt wird nun wieder gezeltet - dieses Mal vor dem Flaggschiffgeschäft des Computerkonzerns Apple. Diesen Campern geht es nicht um eine bessere Welt, sondern um das modernste Handy: Das iPhone 5 ist da, und Tausende wollen es als Erste besitzen. Selten in der Wirtschaftsgeschichte ist ein Produkt so ersehnt worden, selten haben Kunden so viel auf sich genommen, selten war die Hysterie so groß. Würde der Sozialphilosoph Erich Fromm noch leben, er müsste seinen Klassiker "Haben oder Sein" überarbeiten.

Denn der Computer- und Telefonhersteller Apple hat geschafft, mit seinen Produkten die beiden Welten des Habens und Seins zu verschmelzen. Apple stellt nicht Produkte her, Apple transportiert ein Lebensgefühl - und nebenbei schafft es das Unternehmen durch Innovation und Erfindergeist, eine ganze Gesellschaft zu revolutionieren. Apple ist mit einem Börsenwert von 650 Milliarden Euro längst die wertvollste Firma der Welt. Trotzdem genießt sie Kultcharakter wie ein Nischenanbieter und kommt für viele ungeheuer sympathisch daher.

Die Zuneigung der Apple-Fans hat quasireligiöse Ausmaße angenommen, sie verehren das Unternehmen. Bloße Gerüchte reichen aus, um die "Mac-Gemeinde" in ihren Bann zu ziehen. Angebliche Produktfotos genügen, um Börsen zu bewegen. Wenn Apple dann das Geheimnis in einer Livepräsentation lüftet, bekommt die Firma mehr Öffentlichkeit als der Papst beim "Urbi et Orbi". Der Glaube an Apple ist so stark, dass sogar Ökonomen vom neuen iPhone die Rettung der US-Wirtschaft erwarten.

Spätestens seit der Erfindung des iPod - des ästhetischen MP3-Spielers - ist Apple nicht nur Kult, sondern eine Weltmarke, die Menschen in ihrer Selbstwahrnehmung verändert. iPad, iPhone oder iPod machen ihre Benutzer zur Speerspitze des Fortschritts, zur digitalen Avantgarde. Von 1997 bis 2002 warb Apple mit dem Slogan "Think different" und machte Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Albert Einstein zu Protagonisten ihrer Kampagne. Heute denken auch die Andersdenkenden längst gleich - und nennen sich Macianer.

Der Imagetransfer auf Apple funktioniert bis heute - das Unternehmen ist noch immer der Säulenheilige der Digitalisierung. Microsoft bekommt schlechte Presse und hat Monopolverfahren am Hals, Facebook erntet Spott und Häme, auch Googles Ruf driftet ins Negative. Apple hingegen kann ohne Blessuren den Verzicht auf ein Umweltzertifikat erklären (und ihn später wieder zurücknehmen), Billiglöhner in China ausbeuten und Konkurrenten mit Dutzenden von Klagen überziehen. Auch an den abstrusen Gewinnmargen und Halbjahresprofiten von 20 Milliarden Dollar stören sich weder Verbraucherschützer noch Kapitalismuskritiker. Think different? Bei Apple kaum.

Natürlich ist das Unternehmen aus Cupertino nicht schlechter als andere, es ist aber auch kein Heiligtum. Man muss der Innovationskraft, dem Marketing und den Produkten Respekt zollen, man darf sie auch bewundern; man sollte aber auch bei Apple nicht die Tugenden der Aufklärung wie Zweifel und Kritik vergessen. Eben: anders denken.