Hamburg darf nicht zur Spielwiese für Investoren und Architekten verkommen

Demokratie lebt vom Mitmachen. So ist die Idee der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt so richtig wie gut, in Werkstätten die Bürger zu beteiligen. Erst gestern Abend kamen mehr als 400 Hamburger in der Akademie der Künste zusammen, um über das Stadtbild zu diskutieren. Die Beziehung der Hamburger zu ihrer Stadt ist besonders eng - dementsprechend ist die Beteiligung besonders wichtig, für Bewohner wie Entscheider.

Aufhorchen lässt das Ergebnis der Umfrage "Hamburg, deine Bauten - was ist schön, was ist schützenswert?", in der die Bürger aufgerufen sind, ihre Lieblingsbauten genauso auszuwählen wie die schlimmsten Bausünden. Natürlich sind Internetumfragen nicht repräsentativ und werden von Betroffenen gern für ihre Zwecke instrumentalisiert. Und doch ist diese erste Abstimmung ein Misstrauensvotum der Bürger gegen die architektonische Moderne: Unangefochten auf dem ersten Rang landet die abrissgefährdete Wohnanlage Am Elisabethgehölz aus der Schumacher-Zeit; dahinter die abrissgefährdeten Gründerzeitbauten an der Breiten Straße vor der Wulffschen Siedlung in Langenhorn und den Esso-Häusern auf dem Kiez.

Natürlich sind das nicht die Lieblingshäuser aller Hamburger: Kein Kiezbesucher eilt auf die Reeperbahn, um sich an den maroden Platten zu ergötzen, auf keiner Stadtrundfahrt steuert man die Breite Straße oder das Elisabethgehölz an. Aber das Unbehagen in der Stadt wächst, dass Hamburg - diese Freie und Abrissstadt, wie sie der Kunsthallen-Direktor Alfred Lichtwark einst bekrittelte - ihr architektonisches Erbe verspielt. Häuser aber sind Heimat. Deshalb reiht die Unterstützung für die Künstler im Gängeviertel bis weit in das konservative Bürgertum hinein, deshalb danken auch Bewohner der Elbchaussee den Hausbesetzern der Hafenstraße dafür, dass sie sich der Zerstörung eines wichtigen Teils der Stadt widersetzten. Während das alte Gewachsene bei Wohnungsuchenden immer beliebter wird, tun sich viele mit dem Neuen vom Reißbrett schwer. Die Makler in der HafenCity wären glücklich, stießen sie nur auf ein Viertel des Interesses, das sie in Ottensen oder Eppendorf vorfinden. Auch die Abstimmung im Internet ist eine Ohrfeige. Besonders verhasst - noch vor den Bausünden Osdorfer Born oder Karstadt an der Osterstraße - sind die Neubauten in Wilhelmsburg, die dort im Rahmen der IBA entstehen. Auch das mag interessegeleitet und wenig repräsentativ sein. Aber eines fällt auf: Das große Unbehagen setzt ein, wo moderne Architektur beginnt. Weil Hamburg in den vergangenen Jahren durch gesichts- wie geschichtslose Bauten an einigen Stellen verschandelt wurde, wird nun alles Neue in Sippenhaft genommen. Weil der Hafenkrone - dem Bavaria-Gelände - Maß und Mitte fehlen, werden die gelungenen Tanzenden Türme mit abgewatscht. Gerade weil Hamburg viel Neues bekommen hat, das wenig geliebt wird, wird das Alte plötzlich überhöht; die Esso-Häuser, eigentlich eine Bausünde, werden so zum Kristallisationspunkt.

Je stärker Bauherren, Planer und Politik dieses Unbehagen ausblenden, desto mächtiger wird der Widerstand. Das "neue" Hamburg muss die alteingessenen Hamburger mitnehmen, sonst kann es kein Hamburg werden. Diskussion, Mitbestimmung, Dialog sind ein guter Weg. Natürlich ist Architektur Kunst und soll es bleiben - sie darf aber die Bewohner nicht ausblenden.

Und natürlich müssen Investoren Renditen erzielen dürfen - aber dies gelingt nur dort, wo Bürger arbeiten, leben, einkaufen wollen. Stadt ist etwas zutiefst Demokratisches, die Idee der Demokratie entstand in der Polis, den griechischen Stadtstaaten. Höchste Zeit, dass die Demokratie in die Polis zurückkehrt: Stadtentwicklung darf nicht zur Spielwiese für Investoren und Architekten verkommen.