Eine gesellschaftliche Ächtung des laienhaft gemachten Hetzfilms ist die sinnvollste Reaktion auf die Empörung der Muslime

Historiker und andere Wissenschaftler beugen sich derzeit erregt über ein winziges Stück Papyrus aus der Antike. In dem koptischen Text darauf spricht Jesus offenbar über seine Frau. Gemeint damit ist wohl Maria Magdalena; eine Sünderin, Prostituierte gar. Die Debatte verläuft unaufgeregt - obwohl dieser Text dazu geeignet sein könnte, kirchliche Dogmen auf den Kopf zu stellen. Es sei nur daran erinnert, dass Verheiratete in der katholischen Kirche nicht Priester werden können.

Eine vergleichbare Diskussion wäre in weiten Teilen der islamischen Welt völlig undenkbar. Die muslimischen Dogmen sind fest zementiert und jedes Infragestellen mit Strafen bewehrt. Dies liegt auch daran, dass der Koran den Muslimen als unmittelbares und damit nicht veränderliches Wort Gottes gilt, das dem Propheten Mohammed vom Erzengel Gabriel eingegeben wurde. Eine inhaltliche Redaktion der 114 Suren ist damit nicht möglich.

In der erhitzten Debatte um das unsägliche Mohammed-Filmchen sollte sich der Westen allerdings nicht auf ein allzu hohes Ross setzen: Jahrhundertelang hätte im christlichen Kulturkreis eine derartige Verunglimpfung zum Tod auf dem Scheiterhaufen geführt.

Die Aufklärung in Europa ab dem 18. Jahrhundert, die der Islam leider nie durchlaufen hat, fordert von jedem Menschen geradezu, alles - und im Besonderen religiöse Dogmen - infrage zu stellen. Dies hat letztlich dazu geführt, dass Religion im Westen eine Frage der persönlichen Entscheidung ist. Damit ist auch die Freiheit verbunden, religiöse Inhalte - innerhalb gewisser Grenzen - zum Gegenstand von Satire machen zu können.

Diese Grenzen sind fraglos durch das US-Hetzvideo verletzt worden - denn es wurde einzig dazu gedreht, den Islam und seinen Gründer zu schmähen. Die Empörung der muslimischen Welt ist weitgehend nachvollziehbar, wenn auch nicht die Gewaltausbrüche dort. Die Frage eines Film-Verbotes hierzulande jedoch berührt ebenjene Freiheit, für die Menschen auf unserem Kontinent jahrhundertelang gekämpft und gelitten haben. Wo verläuft die Grenze für derartige Verbote? Mit demselben Recht könnten Christen ein Verbot des Films "Das Leben des Brian" der Komikertruppe Monty Python verlangen. Hindus könnten sich durch den Film "Indiana Jones und der Tempel des Todes" beleidigt fühlen, in dem der Todesgöttin Kali Menschen auf grausame Weise geopfert werden. Und welche Rücksichten müssen wir dann auf die Naturreligionen der bei uns lebenden Afrikaner nehmen?

Man kann ernsthaft darüber diskutieren, ob man eine Aufführung des Films in großen Filmtheatern untersagen sollte, da der Streifen dazu geeignet ist, Aufruhr und Gewalt zu provozieren. Andererseits wird man Kinosäle mit diesem Machwerk, für dessen Niveau sich jede Theatergruppe einer Förderschule in Grund und Boden schämen würde, ohnehin nicht füllen können. Der Streifen ist unsäglich laienhaft gemacht, er stimmt historisch nicht, transportiert Hass - und hätte es verdient, nie beachtet zu werden.

Sinnvoll sind aber nicht Verbote, mit denen wir die problematischen Regeln eines anderen Kulturkreises in unser Rechtssystem übernehmen und damit unser Freiheitsverständnis beschädigen würden. Sinnvoll ist vielmehr eine gesellschaftliche Ächtung solcher Provokationen und ihrer Drahtzieher. Die Muslime in Deutschland sind ohnehin in einer komfortablen Position - die überwältigende Mehrheit der Deutschen dürfte sich von dem Film mit Abscheu distanzieren, sofern sie ihn überhaupt zur Kenntnis nimmt. Die in Ägypten gefeierte spontane Solidarisierung von einigen Muslimen und Christen in dieser Sache ist in unserem Land ohnehin flächendeckend gegeben.

Im muslimischen Ausland verhält es sich komplizierter - dort glauben die in Diktaturen Aufgewachsenen, es müsse wohl ein Staat hinter der Produktion eines solchen Films stehen. Dessen Vertreter, die keine Schuld trifft, greifen sie dann an. Es ist Ausdruck der politischen und gesellschaftlichen Misere der islamischen Welt.

Wo die Grenze unserer Freiheit verläuft, zeigt sich in Frankreich. Wenn eine Zeitschrift ausgerechnet in dieser aufgeheizten Atmosphäre ungerührt Mohammed-Karikaturen druckt, dann ist dies weniger eine Demonstration der Meinungsfreiheit als eine unnötige und instinktlose Provokation.