Immer mehr Hamburger bessern ihren Lebensunterhalt mit weggeworfenem Leergut auf. Der 52 Jahre alte Mario ist einer von ihnen.

Hamburg. 13.000 Euro in 30 Tagen. Dieses kleine Vermögen, sagt Eduard Lüning, habe er mit dem Sammeln von Pfandflaschen gemacht. Der Pfand-Profi erlangte diesen Betrag, als er einen Sommer lang die Campingplätze einschlägiger Musikfestivals in Deutschland abklapperte und Pfandflaschen und Dosen sammelte. In seinem Buch "Mit Dosenpfand zum Wohnmobil" erzählt er die Geschichte dazu. Rechnet man nach, müsste Lüning täglich allein 1733 PET-Flaschen im Wert von je 0,25 Euro gesammelt haben. Auch dieses Jahr ist Lüning wieder mit einem Wohnwagen unterwegs. Er sammelt Mengen, von denen andere Sammler nur träumen können - deren Realität sieht oft anders aus

"Ich sammle Pfandflaschen, weil ich kein Hartz IV bekomme", sagt sich Mario. "Ich habe nie in die Sozialversicherung eingezahlt." Der 52-Jährige ist ein Gestrandeter, der alles verlor. Allein von den Pfandflaschen kann er nicht leben. "Das ist ein relativ hoher Zeitaufwand dafür, dass am Ende nur wenig bei rumkommt." Wenn er nicht sammelt, schuftet er im Hafen oder hilft beim Auf- und Abbauen auf dem Dom. Danach geht das Sammeln los.

Sein Anlaufpunkt für eine gute Pfandausbeute ist allabendlich die Neue Flora. Wenn die Musical-Besucher kommen, empfängt er ihre Flaschen. In einer Stunde verdient er so bis zu fünf Euro. "Das ist schon ein Erfolgserlebnis", sagt er. Plastikflaschen sind unter Sammlern dabei besonders beliebt. Immerhin werden für jede Flasche 0,25 Cent ausgezahlt. Aber Mario macht nicht nur deswegen einen großen Bogen um die ungeliebten Glasflaschen. Auf seinem klapprigen Fahrrad kriegt er die schweren Glasbuddeln kaum transportiert. An normalen Tagen verdient er bei einer fünfstündigen Suche etwa drei Euro, wenn es gut läuft auch mal fünf. "Wenn du kein Geld hast, sind drei Euro viel, sagt Mario. Das Sammeln von Pfandflaschen ist für ihn "eine legale Methode zu überleben". Besonders viele Flaschen sammelt er bei Großveranstaltungen wie dem Schlagermove. "Wenn du da fleißig bist, dann machst du 30 Euro am Tag", sagt Side. Das hört sich wenig an, aber umgerechnet sind das 120 Flaschen.

Wie er damals mit den Pfandflaschen anfing, weiß er noch ganz genau. "Wer einmal in den Müll greift, verliert die Scham", sagt er, "am Anfang muss man sich schon überwinden." Dass Flaschensammeln die Würde verletzt, kann Mischa Karafiat voll und ganz verstehen. Der Event- und Projektmanager organisierte zuletzt das Dockville-Festival mit. Er ist einer der Urheber der Kampagne "Pfand gehört daneben". Für ihn eine gute Möglichkeit, "das unsexy Thema Umweltschutz praktisch umzusetzen und mit Sozialem zu verbinden". Die Idee entstand im November vergangenen Jahres aus einer Situation, die jeder kennt. Sein Freund Matthias Gomille war genervt davon, dass Leute Flaschen in die Mülltonnen warfen, die Pfandflaschen-Sammler kurz danach wieder rausholen. Warum nicht einfach danebenstellen? Diese einfache Geste eroberte in kürzester Zeit ganz Deutschland.

Unterstützt wird die Kampagne mittlerweile von zahlreichen Partnern wie Fritz-Kola oder Lemonaid. Mit Letzterem wurde das Konzept der "Pfandkiste" umgesetzt. In Guerilla-Aktionen wurden die Kisten zuerst an Laternen in Hamburg und Berlin befestigt - mittlerweile hängen sie deutschlandweit. Mit Kabelbindern werden die Kisten dabei um einen Laternenpfahl geschnürt. Den dazugehörigen Bauplan stellen die Macher im Internet bereit. Die Behälter sollen den Pfandflaschen-Sammlern ihre Arbeit erleichtern und vor Verletzungen schützen, die beim Griff in den Mülleimer entstehen können. Aus diesen Kisten fischt Side nur selten eine Flasche. Meist sind sie schon weg. "Da sind andere einfach schneller." Außerdem beobachtet er zunehmend auch Hausfrauen und Rentner, die sich nach Flaschen bücken.

Einer der Hauptabnehmer für die Flaschen ist Dragan Petrovic. Er leitet die Edeka-Filiale im Hauptbahnhof. Um Pfandgut loszuwerden, pilgern Flaschensammler vor allem sonntags aus der ganzen Stadt in den Supermarkt, der dann als einer der wenigen geöffnet hat. "Teilweise kommen die Leute mit prall gefüllten Müllsäcken", sagt Petrovic. "Dann bildet sich schnell eine Schlange." Etwa 60 Sammler laufen dort über den Sonntag verteilt auf. Manche lösen bis zu sechsmal am Tag Pfandbons am Automaten. "400 bis 500 Euro werden an einem Sonntag an Sammler ausgezahlt", erzählt Petrovic, "einmalig hohe Summen sind selten dabei." Den Edeka-Markt im Hauptbahnhof kennt auch Mario gut. "Wenn im Edeka 50 Leute drinstehen, dann ist der Laden dicht", sagte er. Dann wartet er lieber bis zum Montag mit dem Einlösen. Er hat Zeit. "Es geht immer weiter. Ein Tag folgt dem anderen."