Stellingen. Guck mal, was ich kann! Luft anhalten, Augen zu und sich dann platt auf der Wasseroberfläche des Schwimmbeckens treiben lassen, die Arme und Beine weit von sich gestreckt, möglichst regungslos. So spielen Kinder seit jeher "toter Mann" im Schwimmbad. Doch nicht nur sie scheinen ihre Freude daran zu haben: "Unsere Pfeilschwanzkrebse schwimmen regelmäßig mit der Bauchseite an der Oberfläche ihres Beckens", sagt Reiner Reusch, Tierpfleger im Tropen-Aquarium von Hagenbecks Tierpark. Das habe dem einen oder anderen Kollegen am Anfang Schnappatmung eingebracht, da die Kombination "Bauch oben und an der Oberfläche treiben" Aquarianern in den meisten Fällen das Ableben eines ihrer Tiere anzeigt. "Doch den Krebsen geht es gut - nur keiner weiß, warum sie das machen", sagt Reusch.

Hufi ist einer der vier Hamburger Pfeilschwanzkrebse, die gerne auch als lebende Fossile bezeichnet werden. Immerhin gibt es sie schon seit 400 Millionen Jahren auf unserer Erde. "Unsere sind nicht ganz so alt", sagt Reusch und grinst. "Wir haben sie vor eineinhalb Jahren bekommen, und mit jetzt vier bis sechs Zentimeter Länge sind sie lange noch nicht ausgewachsen." Bis zu 60 Zentimeter Körperlänge könnten die Tiere einmal erreichen, doch sie wüchsen langsam, wie Reusch sagt. Geschlechtsreif werden sie so auch erst nach etwa neun bis zwölf Jahren.

Trotz des häufig verwendeten Namens Pfeilschwanzkrebs ist Limulus polyphemus, so seine wissenschaftliche Bezeichnung, näher mit den Spinnen und Skorpionen verwandt als mit den Krebsen. Wahrscheinlich ist es der mächtige schützende Panzer, der an Krebse erinnert und so zum Namen führte. Im englischsprachigen Raum wird dabei übrigens nicht zusätzlich wie bei uns auf den pfeilförmigen Schwanz des Tieres eingegangen, sondern auf die Hufeisenform des Körpers, weswegen die Tiere als "horseshoe crab" bezeichnet werden - so kam Hufi zu seinem Vornamen.

Reiner Reusch mag seine kleinen "Müllmänner", wie er sie nennt: "Die sind immer im Gange und räumen alles auf." Sprich: Die Pfeilschwanzkrebse suchen in und auf dem Sand nach allem Fressbaren, wie lebenden und toten Garnelen oder Muscheln. Meistens bewegen sie sich dabei mit ihren fünf unter dem Panzer verborgenen Laufbeinpaaren fort, doch die sechs dahinter angeordneten sogenannten Blattbeine befähigen die Pfeilschwanzkrebse auch zum Schwimmen. "Das können sie sogar recht gut, es sieht nur äußerst blöd aus", verrät Reusch.

Sehen können Pfeilschwanzkrebse vielleicht sogar besser als Tierpfleger

Bei Hagenbeck teilen sich Hufi und seine drei Artgenossen das Rundbecken mit den Clown-Anemonenfischen (den "Nemos"), Aalgrundeln, Doktorfischen und einer Nasenmuräne. Ihr natürliches Verbreitungsgebiet sind flache Sandküsten tropischer Meere, wo sie in Tiefen zwischen zehn und 40 Metern anzutreffen sind.

Wenn man genau hinschaut, kann man erkennen, dass die Panzer nicht komplett unstrukturiert sind, sondern an beiden Seiten eine Erhebung besitzen, auf der zwei komplexe Facettenaugen sitzen; außerdem besitzen die Tiere zwei Punktaugen am Vorderrand des Panzers. Damit können sie im Zweifel besser sehen als die Tierpfleger: "Manchmal denken wir nämlich, dass wir ein Tier mehr haben, wenn wir nicht ganz genau hinschauen", sagt Reusch und lacht. Des Rätsels Lösung: Hufi und seine Mitstreiter häuten sich regelmäßig, um wachsen zu können. Und die leere Hülle sieht wie ein Ebenbild der Tiere aus, da sie ja ihre Form behält. Also, jedenfalls kurzfristig. Denn dann kommen Reiner Reuschs kleine, pfeilschwänzige und hufeisenförmige Müllmänner. Und fressen ihre alte Haut kurzerhand auf.

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