Hamburg, Deine Berge - Teil 8: Der Gojenberg. Hier steht die Bergedorfer Sternwarte.

Der feierliche Ausmarsch der Bergedorfer Schützengilde mit Musik und Trommelschlag lockt zu Pfingsten jede Menge Schaulustige an, denn das "Papagoyenschießen" ist ein Höhepunkt im Festkalender des Mittelalters: "Zelte, Schaubuden, Trinkstände sind aufgeschlagen", schreibt ein Chronist, "eine kräftig sich äußernde Lebensfreude, deren frohgemute Sinnlichkeit sich mit der Natur innig verbunden fühlt, kam bei dieser Gelegenheit besonders wirkungsvoll zum Ausdruck."

Der Ort passt perfekt, sein Name erinnert bis heute an die gutbürgerliche Geselligkeit im Grünen: Vom Gojenberg an Hamburgs Ostgrenze reicht der Blick über die fruchtbaren Vier- und Marschlande bis zu den Türmen von Lüneburg. An den Hängen wachsen 40 Meter hohe Pappeln, Rotbuchen und Bergahornbäume neben tausendjährigen Stieleichen, Eiben und Lärchen. Durch 200 Arten Gehölz wie den Baltischen Weißdorn oder den Türkischen Baumhasel flattern Kohl- und Blaumeise, Zaunkönig, Rotkehlchen, Gelbspötter und Nachtigall.

Den Papagei haben Kreuzfahrer aus dem Orient an die Elbe gebracht. Im kargen Norden wird der bunte Vogel bald zum Sinnbild des farbenfrohen Frühlings. Aus Pappelholz gebastelt, sitzt er als geduldiges Ziel auf der hohen Stange. Manchmal dauert es drei Tage, bis ihn die Armbrustschützen endlich restlos vom "Papagoyenboom" geholt haben.

Die zünftigen Zusammenkünfte in der Mitte der rund 70 Kilometer langen eiszeitlichen Endmoränenwelle zwischen Lauenburg und Wedel sind nicht immer so fröhlich und werden es auch nicht immer sein: Vor 2500 Jahren bestatteten bronzezeitliche Germanen auf dem Gojenberg ihre Toten, zwei Grabhügel sind bis heute erhalten. Als die Obrigkeit noch auf die abschreckende Wirkung der Todesstrafe vertraut, steht auf dem Gipfel ein weithin sichtbarer Galgen.

Und seit 1831 ist der erst heilige, dann unheilige Hügel wieder zum Friedhof geweiht: In lichter Höhe scheinen die Verblichenen erst den Göttern und dann auch dem einen Gott besonders nahe. Gleich nebenan verringern Wissenschaftler die Distanz zum Himmel: Die seit 1906 errichtete Sternwarte Bergedorf ist bis heute Deutschlands Nummer eins. 1911 stellt Carl Zeiss das mit einem Meter Durchmesser viertgrößte Spiegelteleskop der Welt auf den Berg. In den 20er-Jahren konstruiert der Optiker Bernhard Schmidt dort sein weltberühmtes Schmidt-Teleskop für die Astrofotografie.

Die Sterngucker vom Gojenberg untersuchen vor allem die physikalischen Eigenschaften der fixen Himmelslichter und ihre Verteilung in der Milchstraße und auch anderen Galaxien. Besucher finden zwischen alten Bäumen sechs Beobachtungsgebäude mit Kuppel- und zwei mit halbrunden Schiebedächern.

Irdische Attraktionen erschließt seit 1979 ein Lehrwanderpfad. Heute heißt er "Natur- und Geschichtspfad Bergedorf-Börnsen", führt drei Kilometer weit am erstaunlich steilen Elbhang über Stock und Stein und erläutert Sehenswertes auf Tafeln an 60 Info-Pfählen. Auf der Abbruchkante ziehen Jogger, Nordic-Walker, Power-Walker und Biker ihre hügeligen Wege. Im Tal braust der Verkehr ungeduldig auf der B 5 Richtung Geesthacht.

Frühere Forscher lasen im "Gojenberg" gern das prähistorische Urwort "goje" für "steil". 1875 erscheint auf der Karte von Bergedorf sogar ein altgermanischer "Godenberg". Doch schon 1908 ist der "Berg des Wotan" wieder verschwunden: Der Papagei der Kreuzritter hat den alten Heidengott besiegt.