Eine alleinerziehende Mutter hat jahrelang zu Unrecht doppeltes Kindergeld bezogen - und will davon nichts bemerkt haben

Neustadt. Kann es sein, dass ihr das einfach so durchgerutscht ist? Ein Versehen, eine Unaufmerksamkeit, acht Jahre lang? Über einen derart langen Zeitraum hat Saskia K. (Name geändert) für eine ihrer Töchter gleich doppelt Kindergeld bezogen, Monat für Monat. Auf fast 14 000 Euro summierten sich die Beträge über die Jahre, die sie zu Unrecht kassierte. Dabei ist die 45-Jährige wohl kaum jemand, den der Umgang mit Zahlen heillos überfordern müsste. Denn die Hamburgerin ist Lehrerin, unter anderem für Mathematik. Und damit in der Welt der Zahlen ganz bestimmt zu Hause.

Aber wahrlich nicht in der Welt der Justiz, wo sie sich für die unberechtigten Bezüge wegen Steuerhinterziehung verantworten muss. Das Unbehagen der blonden aparten Frau ist geradezu greifbar, verkrampft wirkt sie und bedrückt, mit hängenden Schultern und sorgenvollem Blick. Saskia K. hatte im Jahr 2001 Kindergeld für ihre Tochter bei der Familienkasse beantragt. Als sie wenig später eine Stelle im Schuldienst bekam, bezog sie fortan vom für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zuständigen Zentrum für Personaldienste ebenfalls Kindergeld, das jeweils mit dem Gehalt ausgezahlt wird. Dass sie nunmehr den Betrag gleich doppelt einnahm, teilte sie laut Anklage den zuständigen Stellen nicht mit, obwohl sie es laut Gesetz unverzüglich hätte bekannt geben müssen. Erst im Jahr 2009 fiel dort der Irrtum auf, die Zahlungen wurden eingestellt.

In dem Prozess geht es nicht nur um eine angemessene Strafe. Für Saskia K. geht es zugleich auch um Beruf und Zukunft. Eine Strafe von mehr als 90 Tagessätzen wird im polizeilichen Führungszeugnis eingetragen. "Das hätte für mich lebenslange Konsequenzen", ringt die Angeklagte mit belegter Stimme um Verständnis. Gegen ein Urteil des Amtsgerichts, das wegen Steuerhinterziehung eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 55 Euro verhängte, ging sie in Berufung, über die jetzt vor dem Landgericht verhandelt wird.

War es Laxheit, die sie hat straffällig werden lassen, oder war es schlicht die verstohlene Freude über unberechtigte, aber durchaus willkommene Zahlungen? Den überschüssigen Betrag hat sie, nebst Zinsen, umgehend nach Bekanntwerden der Vorwürfe zurückgezahlt, erzählt die alleinerziehende Mutter jetzt, mit Geld, das sie sich von ihren Eltern geliehen hat.

Saskia K. hatte seinerzeit beim Antrag des Kindergeldes bei der Familienkasse mit einer beigelegten handschriftlichen Notiz sehr wohl darauf hingewiesen, dass sie voraussichtlich nur einen Monat arbeitslos sein und danach im Schuldienst tätig sein werde - und damit aus ihrer Sicht genug getan, um einen Irrtum bei den Ämtern zu vermeiden. "Ich bin davon ausgegangen, dass die Familienkasse die Zahlungen selbstständig einstellt", betont sie.

Wie es dazu kam, dass sie dann ganze acht Jahre den doppelten Kindergeldbezug nicht meldete, hatte sie im Verfahren beim Amtsgericht noch mit Unkenntnis begründet. Sie sehe sich weder ihre Gehaltsabrechnungen noch ihre Kontoauszüge genau an, hatte sie seinerzeit behauptet. Deshalb sei ihr der Monat für Monat zu viel gezahlte Betrag nicht aufgefallen, beharrte die 45-Jährige. In diesem neuen Prozess ist von dieser Version keine Rede mehr. Die Angeklagte schweigt, und in ihrer Mimik spiegeln sich Zerknirschtheit und Kummer. So oder so wird ein Disziplinarverfahren auf sie zukommen.

Wenn Saskia K. "nur für zwei oder drei Monate durchgerutscht wäre, dass sie doppelt Kindergeld bezieht", betont der Staatsanwalt in seinem Plädoyer, "dafür hätte ich Verständnis. Aber es waren acht Jahre!" Beim Strafmaß müssten "auch generalpräventive Gesichtspunkte berücksichtigt" werden. So habe es etwa im Jahr 2009 bundesweit rund 740 ähnlich gelagerte Fälle mit einem Schaden von insgesamt neun Millionen Euro gegeben.

Das Berufungsgericht mildert das Urteil der ersten Instanz ab und erkennt auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 55 Euro, insgesamt 4950 Euro. Damit bleibt der Angeklagten ein Eintrag im Führungszeugnis erspart.

Bei der Tat handele sich es "um kein Kavaliersdelikt, es geht letztlich zulasten von uns allen", warnt die Vorsitzende Richterin. Allerdings habe Saskia K. den monatlichen Geldsegen wohl irgendwann schlicht verdrängt. Zudem habe die zuständige Bearbeitungsstelle "extrem luschig gearbeitet. Richtig wäre es gewesen, so eine Sache auf Frist zu legen, dann wäre es früher gestoppt worden." 740 Fälle von Betrug beim Kindergeld seien "jedenfalls kein Volkssport", gleichwohl müssten vom Gericht Zeichen gesetzt werden, betont die Richterin. "Beamte haben eine besondere Vorbildfunktion!"