Das Bundesverfassungsgericht billigt den Euro-Rettungsschirm - unter Auflagen

Es war vermutlich das wichtigste Urteil, das das Bundesverfassungsgericht in seiner 61-jährigen Geschichte sprechen musste. Nicht nur die bunte Schar der mehr als 37 000 Kläger, sondern die Finanzmärkte, Politiker Europas und Journalisten aus aller Welt blickten gebannt auf Karlsruhe. Nicht weniger als die Zukunft Europas, so proklamierten Publizisten, liege in der Hand der acht Bundesrichter.

Angesichts der überhöhten Erwartungen und hysterischer Befürchtungen fällt das Urteil leise aus, es kam so, wie von vielen erwartet worden war. Das Bundesverfassungsgericht hat den Weg für den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM frei gemacht. Zugleich fordern die Richter aber, dass die deutsche Haftungsgrenze von 190 Milliarden Euro nur mit Zustimmung des Bundestages erhöht werden kann. Es ist ein "Ja, aber", das vielen Deutschen aus der Seele sprechen dürfte. Ein Ja, in dem weiterhin das Bekenntnis zu Europa steckt. Und ein "aber", das die Grenzen der Bereitschaft ausdrückt, als Steuerzahler mit immer aberwitzigeren Milliardenbeträgen für Misswirtschaft in Südeuropa und Eskapaden der Finanzwirtschaft geradezustehen. Es ist ein "Ja, aber", kein "Weiter so". Eher schwingt Realpolitik mit: So wenig, wie die Deutschen einen Blankoscheck nach Brüssel schicken wollen, so wenig sind sie die Hasardeure eines Neins. Vermutlich hat das Bundesverfassungsgericht, dem Umfragen zufolge drei Viertel der Bevölkerung vertrauen, ein Urteil "im Namen des Volkes" gesprochen. Längst ahnen viele Deutsche, dass ihnen in der Schuldenkrise kaum mehr als die Wahl zwischen Pest und Cholera bleibt.

Für Europa war der Richterspruch eine Ermutigung. Mehr aber nicht. Es darf bezweifelt werden, ob EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso klug beraten war, am selben Tag einen "Staatenbund der Nationalstaaten" vorzuschlagen und eine Debatte über Vertragsänderungen anzustoßen. Europa - das zeigt gerade der Euro - mangelt es nicht an Visionen, sondern an gutem Handwerk. Eine Ursache der Schuldenkrise ist gerade, dass Verträge nichts gelten und Vertragsbrüche nicht konsequent bestraft werden.

Noch grotesker ist die Einschätzung hochrangiger Politiker aus Union und FDP, das Urteil bestätige ihren Kurs. Welchen Kurs? Der CSU-Parlamentarier Peter Gauweiler gehört zu den Klägern, Koalitions-Politiker wie Klaus-Peter Willsch und Wolfgang Bosbach (beide CDU) oder Frank Schäffler (FDP) argumentieren immer wieder gegen den Einstieg in die Haftungsunion. Ohne die europafreundliche Opposition wäre die schwarz-gelbe Regierung längst gescheitert.

Zudem wohnt dem Richterspruch die Aufforderung inne, die Parlamente bei der Euro-Rettung stärker einzubeziehen. Die Mauscheleien bei Nachtsitzungen der Regierungschefs, das Durchpeitschen durch die Parlamente, das Getriebensein von Akteuren an den Finanzmärkten mögen in Ausnahmefällen "alternativlos" sein. Wird es zum Normalzustand, gefährdet es die demokratische Verfasstheit Europas.

Genau dieses Demokratiedefizit ist es auch, das den nächsten Urteilsspruch aus Karlsruhe einmal mehr zur "Schicksalsstunde Europas" stilisieren könnte. Gestern ging es in Karlsruhe nur um die Eilanträge der Kläger gegen den ESM und den neuen EU-Fiskalpakt. Die umstrittenen Käufe von Staatsanleihen, die die Europäische Zentralbank ohne demokratische Legitimierung in der vergangenen Woche beschlossen hatte, haben die Richter nicht abgesegnet - bis zu einem Urteil, das irgendwann im Hauptsacheverfahren ansteht.

In der Euro-Krise bleibt daher vorerst vieles beim Alten: Nach dem Rettungsgipfel ist vor dem Rettungsgipfel. Und nach dem Urteil ist vor dem Urteil.