515-facher Kindesmissbrauch: Hamburger hat sich jahrelang an Töchtern vergangen

Neustadt. Stieftochter Amelie B. (alle Namen der Opfer geändert) war sein "Stern". Patrick B. überhäufte sie mit Geschenken, seit sie sieben Jahre alt war. Seine jüngere, leibliche Tochter Nadja hingegen beachtete er kaum. Zehn Jahre ging das so. Bis sich Amelie in einen Jungen verliebte und sein Interesse an ihr schlagartig erlosch. Plötzlich war Nadja, damals elf, sein Fixstern. Er kaufte ihr ein iPhone, teure Markenklamotten und ein Pferd. Lange hatte sich Nadja danach gesehnt, so im Fokus ihres Vaters zu stehen wie ihre Halbschwester.

Väterliche Zuwendung gegen Sex - das war die Masche von Patrick B.

Vor dem Landgericht hat der 44-Jährige gestern eingeräumt, sich an Amelie und Nadja vergangen zu haben, insgesamt 515-mal. Diese Fälle sind ihm nachzuweisen, es könnten aber noch viel mehr gewesen sein. "Laut meiner Mandantin haben die Missbräuche an jedem Wochentag stattgefunden, manchmal sogar zweimal am Tag", sagt die Anwältin, die die Interessen der heute 18 Jahre alten Amelie vor Gericht vertritt. Allein sie ist zwischen sieben und 17 Jahren mehr als 400-mal unsittlich berührt oder zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden.

Nadja und Amelie denken heute häufig an Selbstmord, beide Mädchen sind in Therapie, Amelie ist voller Hass gegen ihren Stiefvater. Nadja, 14, schwankt zwischen Hass und Verlust. Sie hat eine Borderline-Störung, ritzt sich an Brust und Armen und schafft es vor lauter Angst nicht in die Schule. Der nächste Verlust für das labile Kind ist absehbar: Nur noch bis April kommen die Opferschützer vom Weißen Ring für ihr geliebtes Pferd auf. So viel Leid. Zumindest ist es den Mädchen erspart geblieben, gegen ihren Vater auszusagen und jedes noch so demütigende Detail auszubreiten, sich an jeden Fall erinnern zu müssen. Weil der einst selbstständige Handwerker gestanden hat - allerdings erst vor Gericht. Gegenüber der Polizei hat er die Taten noch geleugnet und Nadja als "Lügnerin und abgewichstes Luder" bezeichnet.

Das Leiden der Kinder beginnt im Jahr 2000, Amelie ist sieben Jahre alt. Aus dem Internet hat Patrick B. Kinderpornos geladen. Abends, während Kinderfilme im Fernsehen laufen, streichelt er ihren Unterleib und befriedigt sich. Die Übergriffe nehmen an Intensität zu. 2003 lässt sich Patrick B. sterilisieren. Im Jahr darauf, als Amelie ihre Periode bekommt, überschreitet er die letzte Grenze. Während es zwischen ihm und seiner Frau Renate kriselt, sieht er das Mädchen zunehmend als Partnerin. Auf ihre kindliche Weise gibt ihm indes Amelie zu verstehen, dass sie einen Vater will, keinen Geliebten und keine Affäre. Er sagt: Wenn du uns verrätst, sprengst du die Familie. Dann gehst du ins Heim, ich ins Gefängnis und deine Mutter bringt sich um.

Erst als Amelie sich in einen Jungen verliebt, lässt er sie fallen. Und wendet sich prompt seiner Tochter Nadja zu - sie ist seine neue Amelie. "Das ist ein für den Angeklagten übliches Vorgehen: so taktisch wie perfide und abgebrüht", sagt der Staatsanwalt. Dabei hätte die Situation seine Chance sein können, "zur Besinnung" zu kommen.

Drei bis vier Wochen belässt es Patrick B. dann bei unsittlichen Berührungen. Im April 2010, Nadja ist elf, fällt er auf dem Badezimmerteppich über sie her und vollzieht den Inzest. Wie zuvor Amelie trägt er jetzt auch Nadja auf Händen. Patrick B. spricht von einem gemeinsamen Leben, von einer Pferdezucht in den USA.

Doch dann fliegt alles auf. Als zuerst Amelie und dann Nadja sich ihrer Mutter anvertrauen, die von den Missbräuchen nichts mitbekommen haben will. Als sie ihren Mann zur Rede stellt, gesteht er gleich. Er wolle seine Firma auflösen, den Kindern als Wiedergutmachung Geld schenken, dann werde er sich stellen. Aber Patrick B. setzt sich mit 25 000 Euro nach Kanada ab. Am 20. April 2012 fasst ihn die Polizei in Vancouver. Sechs Tage später wird er nach Deutschland abgeschoben.

Gestern hat ihn Richter Ulrich Weißmann zu neun Jahren Haft und zur Zahlung von 55 000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, das Urteil ist rechtskräftig. Weißmann spricht von einer "absolut gravierenden Tat" mit schlimmen Folgen für die Mädchen, über die der Täter "unsägliches Leid" gebrachte habe. Auch wenn der psychiatrische Gutachter einen Hang zur Pädophilie festgestellt hat, reicht es doch nicht für eine Sicherungsverwahrung.

Gefasst sitzt Patrick B. da. Ein untersetzter, blasser Mann im schwarzen Sakko, der Blick beherrscht, die Hände vor sich wie zum Gebet gefaltet. Amelies Anwältin schüttelt den Kopf. Wie der Staatsanwalt glaubt sie nicht, dass B. begriffen hat, was er seinen Kindern angetan hat. "Jeder Übergriff war ein Verbrechen. Jeder!", sagt sie. "Ihr Verhalten ist hochgradig schäbig." Bei der Verkündung sitzt Amelie erstmals ihrem Vater im Gerichtssaal gegenüber. In ihrem Blick liegt kein Verzeihen.