Zur Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA gibt sich der US-Konzern Boeing selbstbewusst. Doch die Europäer sind gewappnet.

Hamburg. Der längste Ziviljet trifft auf den größten: Auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin werden Airbus und Boeing von morgen an mit ihren jeweiligen Topmodellen, dem A380 und der neuesten Variante des Jumbojets, dem Modell 747-8, vertreten sein. Für Boeing ist es so etwas wie ein Neuanfang, denn der US-Konzern war lange nicht mit seinen Zivilfliegern auf der ILA. Und Boeing hat derzeit allen Grund, sich selbstbewusst zu geben. Denn ein Blick auf die Neubestellungen im bisherigen Jahresverlauf zeigt ein ungewohntes Bild: Erstmals seit 2006 haben die Amerikaner die Nase deutlich vorn. Bis Ende August verbuchten sie Aufträge für 666 Jets, während Airbus nur 374 Maschinen absetzen konnte.

Nach Auffassung von Experten ist dies aber nur eine Momentaufnahme. "Für Airbus ist es kein Grund zur Besorgnis, in diesem Jahr bei den Neubestellungen bislang hinten zu liegen", sagt Sebastian Hein, Branchenanalyst beim Bankhaus Lampe. "Bei beiden Herstellern ist das Orderbuch so gut gefüllt, dass sie es immer schwerer haben, die Jets in der von den Kunden gewünschten Zeit abzuliefern."

Wenn es um den Auftragsbestand geht, ist Airbus weiter die Nummer eins: 4381 Flugzeuge standen Ende Juli auf der Liste, das bedeutet für den Hersteller bei den aktuellen Fertigungsraten Arbeit für mehr als sieben Jahre. Wegen der jüngsten Verkaufserfolge rangiert Boeing mit 4139 bestellten Jets nur noch knapp dahinter. Dass der US-Anbieter beim Auftragseingang in diesem Jahr so auftrumpfen kann, hat er einem Aufholeffekt zu verdanken. Der Hintergrund: Im Dezember 2010 beschloss Airbus, seinen Verkaufsschlager, die Kurz- und Mittelstreckenjets der vor allem in Hamburg gebauten A320-Reihe vom Jahr 2015 an mit neuartigen Triebwerken anzubieten. Die Flieger mit der Bezeichnung A320neo sollen 15 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen als die aktuellen Modelle. Die Kunden reagierten mit einer regelrechten Bestellflut.

+++ Im Flugzeugbau brummt der Wachstumsmotor +++

Zunächst blieb aber unklar, wie Boeing reagieren würde. Der Konzern hatte zunächst die Idee favorisiert, seine Baureihe 737 zu Anfang des nächsten Jahrzehnts durch einen völlig neu konstruierten Nachfolger abzulösen. Ende August 2011 jedoch entschied man in Seattle, ähnlich wie der Konkurrent Airbus, die aktuelle Flugzeuggeneration beizubehalten und sie lediglich mit modernsten Triebwerken auszustatten. Im Jahr 2017 soll die 737-Max auf den Markt kommen.

Wegen des zeitlichen Abstands der Ankündigungen war Airbus mit dem Modell A320neo acht Monate lang ohne gleichwertige Konkurrenz. Nun aber holen Fluggesellschaften, die erst abwarten wollten, welchen Kurs Boeing einschlagen würde, ihre Bestellungen nach. Hinzu kommt noch: "Die Bautermine für die A320neo sind für die nächsten Jahre praktisch komplett ausgebucht", erklärt Hein. "Davon profitiert Boeing mit der 737-Max, zumal die Flugzeuge von der Leistung her recht ähnlich sind."

Zwar könnten auch Wettbewerber wie Embraer aus Brasilien, Bombardier aus Kanada oder Comac aus China, die inzwischen ebenfalls Jets mit deutlich mehr als 100 Passagierplätzen anbieten, aus den Lieferengpässen der beiden Marktführer Kapital schlagen. Doch von einer Bedrohung für sie könne noch auf absehbare Zeit nicht die Rede sein, meint Heino Hammann, Analyst bei der Nord/LB: "Airbus und Boeing werden für die nächsten zehn bis 15 Jahre ihre beherrschende Position behalten."

Ohnehin genießt bei Airbus derzeit eine andere Flugzeugkategorie die höchste Aufmerksamkeit: Im nächsten Jahr soll der mittelgroße Langstreckenflieger A350, gebaut aus besonders leichten Kohlefaserwerkstoffen, erstmals abheben. Aktuell wird die hintere Rumpfsektion der Maschine in Hamburg gefertigt. Das Konkurrenzmodell Boeing 787, das auch weitgehend aus dem Hightech-Kunststoff besteht, ist im September 2011 nach dreijährigen Verzögerungen und immensen Mehrkosten in den Liniendienst gegangen. "Die größte Herausforderung für Airbus besteht derzeit darin, die Risiken beim A350 im Griff zu behalten", sagt Hein. Er sieht allerdings gute Chancen dafür, dass es bei Airbus besser läuft als bei den Amerikanern: "Boeing hat bei der 787 ein technisch riskanteres Konstruktionsverfahren gewählt, bei dem sehr große Segmente des Rumpfs in einem Stück gefertigt werden, während Airbus eine größere Zahl eher kleiner Teile zusammenfügt", erklärt der Experte. Außerdem habe Airbus beim Projektmanagement aus den Problemen mit dem A380 gelernt. Selbst wenn sich der A350 verspäten sollte, wäre dies vor dem Hintergrund der schwierigen Situation vieler Fluggesellschaften nicht so schlimm wie in einer Boomphase.

Angesichts der konjunkturellen Abkühlung sei nicht damit zu rechnen, dass Airbus und Boeing 2012 Auftragsrekorde erzielen: "Dies ist eine schwankungsanfällige Branche - die beiden vergangenen Jahre waren Ausnahmejahre", so Hammann. Allerdings darf sich Airbus wegen des schwachen Euro-Kurses über einen unverhofften Milliardengewinn freuen. "Weil wir unsere Flugzeuge vor allem in Europa herstellen, aber in US-Dollar verkaufen, bedeutet das für uns höhere Erträge", sagte Airbus-Chef Fabrice Brégier der "Wirtschaftswoche". "Eine Änderung des Wechselkurses von zehn Cent gegenüber dem Dollar beeinflusst unseren operativen Gewinn um rund eine Milliarde Euro. Beim gegenwärtigen Kurs von 1,25 Dollar pro Euro bedeutet das gegenüber unserer Planung ein Plus von gut einer Milliarde Euro."

Längerfristig gesehen bleibe die Luftfahrtindustrie eine Wachstumsindustrie, glaubt Hein: "Entscheidend ist, dass der Trend zu neueren Jets ungebrochen ist. Dafür sorgt schon der steigende Ölpreis." Wer im Wettbewerb mithalten wolle, brauche eine moderne, sparsame Flotte: "Bei den hohen Treibstoffpreisen rechnet sich die Investition für sie."