Die Europäische Zentralbank kauft massiv Anleihen. Es haften die Steuerzahler

Die Aktienmärkte sind in Champagnerlaune. Seit Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank, Ende Juli verkündet hat, die Notenbank sei bereit, alles Notwendige für den Erhalt des Euro zu tun, steigen die Kurse. Innerhalb weniger Wochen gewannen die Börsen zehn Prozent und mehr. Ihre Hoffnung: Die Zentralbank kauft die Schuldenstaaten aus dem Schlamassel heraus.

Draghi, der langjährige Banker und ehemalige Vizepräsident von Goldman Sachs in London, enttäuschte die Märkte auch gestern nicht: Nach der Ratssitzung versprach er, die EZB werde mit einer neuen Runde von Anleihekäufen klammen Staaten unter die Arme greifen. Damit dürften die Renditen von Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal nachhaltig sinken. Und die Börsenkurse weiter steigen - am Nachmittag zogen die Notierungen schon kräftig an.

Für die Steuerzahler in Europa hingegen gibt es keinen Grund, den Sekt kalt zu stellen - ganz im Gegenteil: Die Risiken der Anleihen, die Privatinvestoren offenbar nicht mehr tragen wollen, landen noch stärker bei der Europäischen Zentralbank. Und über die Umwege der nationalen Notenbanken im Pleitefall letztlich beim Steuerzahler. Einmal mehr greift die Grundregel der Schuldenkrise, die längst zum Dauerzustand wird: Die Banken werden gerettet, die Bürger zahlen. So war es auch im Fall Griechenland: Die meisten Finanzinvestoren haben sich längst von ihren "toxischen" Griechenlandanleihen getrennt. Ein beträchtlicher Teil der Papiere liegt nun bei der EZB.

Die Unabhängigkeit der Notenbank, der rote Faden in der Erfolgsgeschichte der Bundesbank, ist spätestens seit gestern dahin. Nun finanziert die Notenbank plötzlich Staaten. So wächst mit dieser neuen EZB-Offensive die Gefahr der Inflation. Mittelfristig dürften die Preise in Europa deutlich steigen.

Dies zeigt das gewaltige Risiko auf, das Draghi eingeht. Und doch gibt es auch gute Argumente für das massive Hineingrätschen der Notenbank in die Märkte. Denn diese funktionieren schon lange nicht mehr, Panik verzerrt die Kurse der Staatsanleihen. Berechnungen haben ergeben, dass etwa Italien oder Spanien zwei Prozentpunkte mehr zahlen müssen, als fundamental gerechtfertigt wäre. Diese zwei Prozentpunkte wirken wie ein Bleigürtel bei Schwimmanfängern - sie ziehen unter Wasser. Würde die Refinanzierung der Staaten um diese Spanne günstiger, gewännen die Länder Zeit, Geld und Spielraum für ihre Reformpolitik. So könnten sich die Staaten leichter aus dem Teufelskreis von Einsparungen und Konjunktureinbruch befreien. Die Wirtschaftskrise, die nun vom Süden auf den Norden in Europa übergreift, ist auch Folge der radikalen Sparpolitik.

Doch der Teufel liegt im Detail. Zwar kündigt Draghi an, den Kauf weiterer Anleihen von Euro-Krisenstaaten an strikte Auflagen zu knüpfen. Doch "strikte Auflagen" gelten rhetorisch seit Ausbruch der Finanzkrise. Und sie bleiben stets Auslegungssache - was den Griechen zu strikt erscheint, empfinden die Finnen als unzureichend. Zudem ist die Architektur der Euro-Zone wie die des EZB-Rats südlastig. Da mag es mehr Rücksicht geben, als hilfreich ist: Auch wenn die Renditen für Staaten wie Italien oder Spanien zu hoch sind, Risikoaufschläge zu Bundesanleihen sind gerechtfertigt. Sie halten den Druck auf die Regierungen aufrecht, die nötigen Strukturreformen anzugehen. Über Jahre konnten sich die Staaten im Süden wegen der Einführung des Euro viel zu leicht finanzieren. Mit der Finanzkrise platzte die Illusion des süßen Lebens auf Pump. Die EZB muss nun den übermächtigen Druck der Märkte lindern, ohne ihn ganz zu nehmen und die Politik somit aus der Pflicht zu entlassen. Einfach wird das nicht. Teuer möglicherweise schon.