Heimischer Fisch lässt sich kaum noch gewinnbringend verkaufen. Immer mehr Ostsee-Fischer geben auf. Zu Besuch bei Rüdiger Krüger in Niendorf.

Hamburg. Rüdiger Krüger sitzt vor seinem Kutter im Niendorfer Hafen und lässt das Netz durch die Hände gleiten. Es sind kräftige Hände, mit ledriger, sonnengegerbter Haut, die von einem Leben auf See und von harter Arbeit erzählen. Der 56-Jährige hat über Jahrzehnte sein Schiff am Laufen gehalten, hat die Maschinen geölt, Netze geflickt, Fische ausgenommen und dem norddeutschen Wetter getrotzt.

Seit 1971 arbeitet der Holsteiner als Fischer, doch nun sind seine letzten Jahre in dem Hafen an der Lübecker Bucht gekommen. Das gelb gestrichene Holzhaus an der Wasserkante, in dem seine Frau Christa den frischen, nach Meer duftenden Fisch verkauft, wird dann wohl ebenfalls für immer schließen. "Unsere Betriebe hier haben über viele Generationen Fisch gefangen", erzählt Krüger und schaut auf die Kutter, die im brackigen Hafenwasser schaukeln und von Möwen belagert werden.

"Doch nun bleiben viele von uns wegen der Fischereipolitik der EU auf der Strecke." Die Weichenstellungen der Brüsseler Bürokraten, aber auch die Konkurrenz durch asiatischen Billigfisch wie Pangasius machen den norddeutschen Fischern, die hauptsächlich Dorsch fangen, das Leben schwer.

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Und die Probleme treiben erschreckende Blüten: Im Frühjahr sind 70 Tonnen frisch gefangener Dorsch aus der Ostsee geschreddert und zu Tierfutter verarbeitet worden, weil der auf dem Markt zu erzielende Preis für den Fisch unter den von der EU festgesetzten Wert gerutscht war. "Der Preis für ein Kilo Dorsch ist zeitweise auf unter 70 Cent gefallen", beschreibt Lorenz Marckwardt, Vorsitzender des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein, die Entwicklung.

Die Branche wird zum Opfer einer einfachen betriebswirtschaftlichen Regel: Das Angebot ist stabil, doch die Nachfrage hat sich verschoben. "Die Verbraucher greifen im Supermarkt lieber zu Pangasius aus der Tiefkühltruhe, nur weil er so billig ist", sagt Krüger kopfschüttelnd. Dagegen verkommt der Dorsch zum Ladenhüter.

Dabei kritisieren Kenner wie der Hamburger Koch und "Anwalt der Meere", Steffen Henssler, Pangasius als Modefisch, als geschmacklos, praktisch ohne Nährwert. Der Süßwasserwels gehört zu den Zuchtfischen, die in Asien zu großen Schäden an der Natur führen. So gelangen Nahrungsreste, Kot, Antibiotika und Parasiten aus den Aquakulturen in die benachbarten Gewässer. Besonders verheerend ist die Lage in Vietnam, wo seit etwa zehn Jahren ganze Flusslandschaften den Aquakulturen für Pangasius geopfert werden. Bereits etwa 47 Prozent des weltweit verzehrten Fisches stammen aus Zuchtbetrieben, jeder dritte liegt in China.

Der Pangasius hat sich erst in den vergangenen Jahren im Speiseplan der Deutschen etabliert, der Dorsch (auch Kabeljau genannt) war für die Fischwirtschaft in der Ostsee dagegen seit jeher ein wichtiger Umsatzbringer. In diesem Jahr beträgt die deutsche Dorschquote 11 000 Tonnen.

"Früher konnten wir an 240 Tagen im Jahr fischen, heute sind die Fangzeiten auf 163 Tage begrenzt", sagt Krüger. "Die EU meint, das schont die Fische." Bei Dorsch ist die Fangmenge seit Langem stark umstritten. Außerdem kritisieren Experten die EU für ihrer Meinung nach verkehrte Anreize. Diese führten dazu, dass ein großer Teil jedes Fangs tot wieder im Meer lande, weil die falschen Fische ins Netz gingen. Dadurch werde besonders die Menge der Jungfische dezimiert.

Während sich die Bestände der Meeresbewohner mit dem kräftigen Bartfaden am Unterkiefer bis heute dennoch wieder gut erholt haben, mussten etliche Betriebe die Segel streichen. 1956 lagen im Niendorfer Hafen noch knapp 60 Kutter, heute ist die Flotte auf drei Schiffe geschrumpft. Aus Travemünde im Hafen nebenan stechen heute noch zwei Fischer in See, Zwölf sind es auf Fehmarn. Ähnlich ist das Bild in Mecklenburg-Vorpommern: Seit 2007 haben nach Angaben des Agrarministeriums rund 25 Prozent der im Haupt- und Nebenerwerb tätigen Fischer in Mecklenburg ihr Handwerk aufgegeben. Insgesamt schrumpfte die deutsche Fangflotte von 2800 Schiffen 1970 auf gut 1700 im Jahr 2010.

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Die Krügers aus Niendorf sind mit ihrem Familienbetrieb zwar zu 100 Prozent vom Fischfang abhängig - er auf dem Kutter, sie im Verkauf am Hafen. Aber dennoch will sich der Fischer in drei Jahren mit Ende fünfzig aus dem Geschäft zurückziehen und dann irgendwann zum allerletzten Mal seine Netze auf der See zwischen Fehmarn und Warnemünde auswerfen.

"Es lohnt sich für uns im Grunde nur noch, weil wir hier den Fang direkt an die Kunden verkaufen können", sagt Krüger. Kollegen, die ausschließlich an die Genossenschaft lieferten, seien wirtschaftlich bereits heute am Ende. Bei dieser Vertriebsform verdienten einfach zu viele Stellen mit.

Die Fische landeten auf Auktionen in Holland und anschließend, nach mehreren Zwischenstationen, zum Teil wieder in deutschen Pfannen und Töpfen. Das Geld, das die Endverbraucher letztlich für Dorsch zahlten, erreiche die Erzeuger, die Tag für Tag vor Sonnenaufgang aufs Meer hinausfahren, aber nicht. "Das ist wie bei den Bauern, die werden auch ausgequetscht", sagt Krüger.

Wenn sich der Fischer bald zur Ruhe setzt und seine "Charlotte" aus dem idyllischen Niendorfer Hafen verschwindet, wird das auch das Bild der Ostseeküste verändern - ein Stück Heimat wird verschwinden, Fischerdörfer mit urigen Typen, die Tage auf dem Meer verbringen und so manches Seemannsgarn spinnen können.

Die Touristen werden auf das Vergnügen verzichten müssen, fangfrischen Fisch direkt vom Kutter zu kaufen, und werden stattdessen in die Tiefkühltruhe im Supermarkt greifen. Und Deutschland wird mit der weiter schrumpfenden Fangflotte noch ein wenig stärker auf den Import angewiesen sein. Der Selbstversorgungsgrad liegt schon heute gerade mal nur noch bei zehn Prozent.