Gegner des Biosprits benutzen die Parole “Teller statt Tank“. Doch dieser Vergleich hält einem Faktencheck nicht stand

So viel Applaus hat Dirk Niebel vermutlich abseits von FDP-Bezirksparteitagen in der Provinz noch nie bekommen. Der Entwicklungshilfeminister hatte vor einigen Tagen wegen der Welthungerkrise einen Produktionsstopp des umstrittenen "Biosprits" E10 gefordert, weil dieser Getreide verteuere. Greenpeace und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland schlossen sich der Kritik an, die Welthungerhilfe genauso wie das katholische Hilfswerk Misereor. Auch die Verbraucherzentralen waren begeistert, sogar Politiker der Linken, der SPD und der Grünen stimmten zu.

Die überwältigende Mehrheit ist schnell zu erklären. Auf den ersten Blick ist es ein Skandal, in Zeiten des Hungers Nahrungsmittel zu Benzin weiterzuverarbeiten. Dafür kann keiner sein - und so hofft die FDP mit der Debatte, aus dem 4,x-Prozent-Getto auszubrechen, Misereor wünscht sich mehr Interesse für die schwierige Ernährungslage von Millionen Menschen, Greenpeace und Co. haben auch nichts gegen sie unterstützende Spendengelder. Doch die eingängige Losung "Teller statt Tank" ist so einfach nicht.

Auch wenn sich der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Florian Rentsch (FDP) empört: "Das, was wir dort produzieren, ist eigentlich zum Leben von Menschen gedacht", sollte man vorher noch einmal hinschauen, was da genau zu Benzin verarbeitet wird: nämlich Industrierüben und Getreide mit Futtermittelqualität. Wir wollen doch nicht hoffen, dass derlei auf Rentzschs Teller landet.

Nach Aussage des - natürlich parteiischen - Bundesverbands der deutschen Bioethanolwirtschaft werden nur zwei Prozent der deutschen Ackerfläche für die Produktion von Bioethanol genutzt. Oftmals werden die Rohstoffe auf Flächen gezogen, die wegen des Flächenstilllegungsprogramms der EU ohnehin nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden können. Zudem hat der Gesetzgeber schon bei der Einführung der Quote strenge Nachhaltigkeitskriterien verfasst, die das klimapolitische Einsparziel gewährleisten sollen. Und bei aller Empörung: Bevor E10 zum Superaufreger wurde, tankten alle brav den Superkraftstoff E5 - der enthielt, wenn auch zu einem geringeren Teil, ebenfalls Bioethanol. Das hat damals nur niemanden interessiert. Bis vor Kurzem galten Biokraftstoffe auch bei vielen Grünen als Königsweg, den Treibhauseffekt zu mindern. Das ist er vermutlich nicht; ihn aber gleich zum Irrweg zu erklären, könnte übereilt sein. Seltsam auch, dass alle von E10 reden, aber die meisten zum Biogas schweigen - denn dieser Kernbestandteil der Energiewende lässt das Land vermaisen - und verdrängt Ackerflächen.

Auch sollte keiner vergessen, wie es zu E10 in Europa kam: Der Biokraftstoff war ein Kompromiss gerade im Interesse der deutschen Automobilindustrie, den CO2-Ausstoß langsamer senken zu dürfen. Das kann man sehr wohl kritisieren - aber die Deutschen sollten sich in ihrer Erregung auch hier zurücknehmen. Erst vor wenigen Tagen stellte sich heraus, dass die Motoren und Autos hierzulande immer größer werden: 135 Pferdestärken sind es im Schnitt, fünf mehr als im Jahr zuvor und gar 17 mehr als 2009. So jedenfalls wird Klimaschutz garantiert nix. Und die Empörung über E10 klingt wohlfeil. Oder liegt der Kern der Ablehnung von E10 gar nicht in ethischen Fragen begründet, sondern doch in der verbreiteten Sorge, der Biosprit schade dem Motor?

Hoffentlich nicht. Denn in der Sache ist die Diskussion, die Niebel angestoßen hat, überfällig: Hunger fällt nicht vom Himmel, Hunger wird gemacht. Biosprit ist daran nicht unschuldig, aber ein Nebenaspekt. Derzeit beispielsweise treiben Spekulanten an den Rohstoffbörsen die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe. Auch der westliche Lebensstil mit einem enormen Fleischkonsum verknappt das Angebot an Getreide, weil wir es den Schweinen zum Fraß vorwerfen, um es zu Koteletts zu "veredeln". Problemverschärfend sind Subventionen beim Export landwirtschaftlicher Produkte oder ungerechte Besitzverhältnisse. Die Ursachen von Hunger sind so komplex, dass wir mit "Tank versus Teller" nicht recht weiterkommen. Gegen den Niebelschen Populismus war da das Schweigen von Bundesumweltminister Peter Altmaier geradezu wohltuend.

Zum Ruf seines Kabinettskollegen nach einem E10-Aus äußerte sich der Saarländer gar nicht. Er reagiert nicht auf jede Forderung eines FDP-Ministers, sondern setzt offenbar auf Substanz statt Schnellschüsse.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt