Auch Putin führt das Land nach Reformen in Erstarrung

Russland ist alles andere als ein leicht zu regierendes Gemeinwesen. Schon von seinen Dimensionen her nicht. In seinem Selbstverständnis begreift es sich als Großmacht, egal wie der eigene Zustand und die geostrategische Lage gerade korrelieren. Und seine Bewohner neigen nicht nur zu Gastfreundschaft und Herzlichkeit, sondern auch zu Anarchie und Maßlosigkeit. In seiner Geschichte hat das Land immer wieder chaotische Perioden erlebt, sei es während der Smuta, der "Zeit der Wirren" zwischen Rurikiden-Dynastie und Romanow-Herrschaft, oder in den Revolutionen des vergangenen Jahrhunderts.

Wer in diesem Land Sicherheit und Ordnung garantieren kann, gilt automatisch etwas. Wladimir Putin hat das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der chaotischen Übergangsphase unter Jelzin geschafft. Doch wie bei seinen autokratischen oder kommunistischen Vorgängern droht die Stabilität in Erstarrung überzugehen - begleitet von einer Paranoia gegenüber dem Westen, der einerseits als wirtschaftlich-kulturelles Vorbild dient und dem andererseits misstrauisch jede Gemeinheit zugetraut wird, nur um Russland zu schaden. Die ersten 100 Tage seiner dritten Amtsperiode als Präsident sind entsprechend gekennzeichnet durch den Erlass repressiver Gesetze und starrer Außenpolitik. Die Demonstrationsfreiheit wurde eingeschränkt, westliche Nichtregierungsorganisationen bekommen den Status von Agenten, die Presse wird durch ein Verleumdungsgesetz weiter geknebelt, in der Syrien-Frage führt sich Moskau auf wie weiland unter Breschnew Außenminister Gromyko, der den Beinamen "Mister Njet" trug.

In der gleichen Art und Weise wird mit Oppositionellen umgesprungen, etwa den Mädchen der Punk-Band Pussy Riot, die morgen ihr Urteil wegen des Schürens "religiösen Hasses" erwarten. Gesellschaftlichen Widerspruch als Triebkraft für positive Entwicklungen zu begreifen kommt Putin so wenig in den Sinn wie seinerzeit Nikolaus II. oder Stalin. Doch nur diese Erkenntnis könnte Russland aus seinem ewigen Kreislauf aus Chaos, Ordnung und diktatorischer Erstarrung befreien.