Aber der Koalition wird das nicht übel genommen. Denn die europäische Innenpolitik lässt nationale Themen unwichtig erscheinen

Gäbe es eine Rating-Agentur für Politik, wäre das Urteil über die schwarz-gelbe Koalition zwangsläufig: Ramschniveau! CDU/CSU und FDP haben in dreijähriger Regierungszeit ihre Bonität verspielt. Nach wie vor sind sie nicht in der Lage, gemeinsame Vorhaben auszudiskutieren und umzusetzen, aktuelle Beispiele: das Betreuungsgeld oder die Gleichbehandlung von Homo-Paaren. Viele Minister stümpern vor sich hin, wie zuletzt Innenminister Hans-Peter Friedrich bei der Auswechslung eines Polizeichefs. Ja, nicht mal ein Wahlgesetz bekommt diese Koalition hin, das der Überprüfung durch das Verfassungsgericht standhält.

In früheren Jahrzehnten hätten Opposition und Medien daraus ein krachendes Sommertheater gemacht. Das Ende der Koalition wäre tägliches Spekulationsthema gewesen, und vor allem wären Zweifel am Können und an der Autorität des jeweiligen Regierungschefs geschürt worden.

Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird im Sommer 2012 mit der Unfähigkeit von Regierung und Koalition nicht mehr in Verbindung gebracht. Die Wähler geben ihr persönlich in den Umfragen immer bessere Noten. Schwarz-Gelb haben sie abgehakt. Sie wissen, dass es diese Konstellation nach der Wahl in einem Jahr nicht mehr geben wird. Die Koalition führt ihr holpriges Theaterstück nur noch auf einer Provinzbühne auf. Die Hauptdarsteller, auf die das politische Berlin und auf die Deutschland blickt, sind internationale Besetzung: Draghi, Monti, Hollande, Juncker. Wer die Entscheidungsabläufe der deutschen Politik analysiert, fühlt sich an den alten Filmtitel "Alice lebt hier nicht mehr" erinnert. Schwarz-Gelb regiert hier nicht mehr.

In den letzten Monaten ist eine europäische Innenpolitik entstanden, die nationale Themen unwichtig erscheinen lässt. Was Merkel mit Seehofer und Rösler bespricht - was hat das schon zu bedeuten? Was Merkel mit Steinmeier und Gabriel bespricht, die beiden wiederum mit Frankreichs sozialistischem Präsidenten Hollande und der dann noch einmal mit Merkel - das bestimmt Deutschlands Zukunft. Deutschland wird sich auch daran gewöhnen müssen, dass europäische oder sogar amerikanische und chinesische Politiker immer öfter in die deutsche Innenpolitik hineinreden werden. Erstes, weil es für ihre Länder, für Europa und die Welt wichtig ist, was in Berlin beschlossen wird. Und zweitens, weil deutsche Politiker ja selbst auch gern Ratschläge über die eigenen Landesgrenzen hinaus geben.

Kanzlerin Merkel ist eine Art Alleinregentin geworden. Sie sichert sich bei wichtigen Themen wie dem Euro-Rettungsschirm und dem Fiskalpakt die Zustimmung aller Parteien (außer den Linken). Und mit dem Gewicht einer solchen großen Koalition versucht sie, auf europäischer Ebene noch größere Koalitionen zu bilden.

Da die Partner von Schwarz-Gelb vom politischen Handwerk her nicht regieren können und wegen des überragenden Themas Euro auch kaum noch etwas zu regieren haben, wollen sie auch nicht mehr regieren. Die CSU hat nur noch die bayerische Landtagswahl im Blick, Parteichef Seehofer wurde wegen seiner Quertreibereien von einer Zeitung zu Recht den Titel "Crazy Horst" verliehen. Die FDP verfolgt ein einziges Ziel: 2013 über fünf Prozent zu kommen und wieder in den Bundestag einzuziehen. Und die CDU, nach den Röttgen- und Mappus-Debakeln in wichtigen Landesverbänden demoralisiert, setzt allein auf Merkels Strahlkraft und hofft, mit ihr irgendwie wieder zu regieren.

Ein Jahr wird die schwarz-gelbe Koalition formal noch bestehen. Doch auch danach wird es nicht mehr sein, wie es 60 Jahre lang war: dass eine parlamentarische Mehrheit im Bundestag sich zusammenschließt und für vier Jahre die Geschicke des Landes bestimmt. Auch Rot-Grün, sollte es 2013 dafür reichen, wird bei wichtigen Themen, also vor allem europäischen Finanzthemen, Abweichler in den eigenen Reihen haben. Auch Rot-Grün wird um die Kanzlermehrheit bangen und sich Verbündete suchen. Auch Rot-Grün wird gelegentlich eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Auch Rot-Grün wird sich daran innerlich aufreiben. Und an die Stelle von "Crazy Horst" Seehofer wird dann vielleicht "Crazy Sigmar" Gabriel treten.