Die Radoffensive kommt in der Hansestadt nicht ins Rollen - dabei würden alle davon profitieren

Ein großer Industrieller brachte es im 19. Jahrhundert auf den Punkt: "Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden wie beim Fahrrad."

Dieser Tage aber mischen sich Zweifel in die große Fahrradbegeisterung - der tödliche Unfall eines Rennradfahrers in Spadenland zeigt, wie gefährlich das Radeln sein kann. Bei manchem Zusammenstoß hilft auch kein Helm. Radler leben gefährlich - das gilt immer und überall. Allerorten kann es zu schweren Unfällen kommen. Und doch ist die Hansestadt gerade jetzt aufgerufen, die Sicherheit zu verbessern und den Verkehrsträger Fahrrad zu fördern.

Wer einmal in Münster oder Oldenburg, Kopenhagen oder Amsterdam auf einem Velo saß, wundert sich, wie stiefmütterlich das Zweirad in Hamburg behandelt wird. Zwar sind die roten Fahrradleihstationen vorbildlich - nur was helfen sie, wenn das Fahren ein abenteuerlicher Ritt im Asphaltdschungel bleibt? Ein Stadtrad allein macht noch keine Fahrradstadt.

Viele sogenannte Radwege spotten jeder Beschreibung: Mal sind sie schmal wie ein Handtuch, mal werden sie als Parkplätze zweckentfremdet, dann sind sie durch wucherndes Straßengrün zugewachsen. Einige Wege erinnern eher an Hindernisparcours, bepflanzt mit Pollern und einem Schilderwald; andere Wege werden in Zeiten der Event-Kultur zu Veranstaltungsflächen. In einigen Vierteln liegt noch das Kopfsteinpflaster aus der Pferdekutschenzeit - oder es kommt unter dem aufgesprengten Asphalt wieder ans Licht. Schlaglöcher in Kratergröße sind nicht nur eine ästhetische Zumutung, sondern eine Gefahr für Leib und Leben. Und oftmals gibt es schlichtweg gar keine Wege - sie enden plötzlich im Nirwana. Wenn irgendwo eine Baustelle eingerichtet wird, kommen Radfahrer in den Planungen kaum vor - ihre Wege werden zugestellt, abgesperrt, zweckentfremdet, als gelte das Motto: Seht doch selbst, wo ihr bleibt.

Die wohl bizarrste Idee der Hamburger Verkehrsplaner sind die gemeinsamen Spuren von Bussen, Taxis und Radlern. Wer jemals einen Bus im Nacken spürte, weiß, was Angst ist. Viele Fahrradwege sind als solche kaum erkennbar: Einheitlich ist nur, dass sie uneinheitlich sind. Mal rot angemalt, dann asphaltiert, dann grau gepflastert, dann weiß markiert - Übersicht schafft man so nicht.

Gehobene Mobbingqualitäten weisen einige Ampeln auf: Wo Autos nur eine Grünphase benötigen, werden Radler zu mehreren Unterbrechungen genötigt, Bettelampeln verwandeln sie in Bittsteller. Mitunter drängt sich der Eindruck auf, die Ampelphasen seien von Fahrradhassern minutiös auf rote Welle geschaltet worden.

Es verwundert wenig, dass die Hansestadt es nicht schafft, den Anteil des Radverkehrs von zwölf Prozent signifikant zu steigern. Das eigene Ziel, bis 2015 rund 18 Prozent zu erreichen, hat der Senat leise kassiert. "Für die angestrebte Erhöhung setzt der Senat die Radverkehrsstrategie unabhängig von einem Zeitziel im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen weiter um", hieß es zuletzt aus dem Rathaus. Leider ist die Radverkehrsstrategie so unverständlich wie dieses Deutsch.

Dabei könnte eine wirkliche Radoffensive mehrere Verbesserungen bringen: Das notorisch überforderte Straßennetz würde entlastet, die hohe Stickoxid-Konzentration der Hamburger Luft sinken.

Machbar wäre das allemal: In Amsterdam, Münster oder Kopenhagen wird jeder dritte Weg mit dem Velo zurückgelegt. Und ganz nebenbei entwickeln echte Radfahrerstädte eine besondere Atmosphäre und Liebenswürdigkeit. Sie entschleunigen das Stadtleben, machen es bunter und sauberer.

Für dieses Ziel müssen aber auch die Radler umsteuern.

Zu viele Pedalritter benehmen sich wie Rowdys. Für sie scheint die Straßenverkehrsordnung nicht zu gelten: Licht halten sie für spießig, Einbahnstraßen für Ironie und Rücksichtnahme für ängstlich. Dafür treten sie mit einer moralischen Überlegenheit in die Pedale, als müsse an ihrem Wesen die Welt genesen. Zugleich schwören einige Autofahrer auf das Gesetz des Wilden Westens, das Recht des Stärkeren. Dabei müssten Autofahrer die Radler eigentlich lieben: Jeder Radler, der auf sein Auto verzichtet, macht Platz auf den Straßen.

Die am Textbeginn stehende Liebeserklärung an das Velo stammte übrigens aus berufenem Munde: von Adam Opel, dem Begründer der Firma Opel.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt