Eine Anregung von Birgit Reuther

"Wer etwas über die Deutschen lernen möchte", pflegt eine Freundin zu sagen, die in London lebt, "der soll nicht Goethe oder Schiller lesen, sondern Karl May." Abenteuer statt akademischer Anspruch. Weise statt vergrübelte Worte. Die Idee, sich eine Welt zu erfinden. Sich ins Fantastische zu flüchten. Dorthin, wo das Gute siegt. All das ist Karl May. All das nährte auch die Verfilmungen im Nachkriegsdeutschland. In der Fiktion war der Weltfrieden unkomplizierter.

Heute ist es mehr denn je zu empfehlen, diesen Schatz neu zu heben. Nicht nur, weil 2012 das 100. Todesjahr des Autors begangen wird. Sondern auch wegen dem, was Filmkritiker Bert Rebhandl jüngst so treffend schrieb: Karl May hat uns beigebracht, "uns für die Lust am Populären nicht zu schämen, sondern vielleicht aus dem Genießen etwas zu lernen." Und dieser lehrreiche Genuss lässt sich hervorragend bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg zelebrieren.

Im Indianerdorf werden Haarbänder und Federn für drei Euro verkauft, Kriegsbemalung gibt's umsonst. Ein großer kollektiver und generationenübergreifender Spaß. Wo gibt's das denn noch? Exotisch und zugleich typisch deutsch. Denn wie tief Bücher und Filme als Kanon, als Mythos ins Bewusstsein eingesickert sind, zeigt sich, wenn Winnetou in die Freilichtarena einreitet. Die vertraute Melodie von Martin Böttcher weht über den Kalkberg. Gänsehaut. Tränen in den Augen. Wer war noch mal Goethe?