30 Jahre haben Bettina und Gerhard Boll aus Geesthacht gegen das Atomkraftwerk Krümmel protestiert. Dann kam der Atomausstieg. Jetzt holen sie die Utensilien ihres Widerstands noch mal raus

Und jetzt? Über ein Jahr ist ihr größter Triumph jetzt her. Als die Bundesregierung für Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie verkündete. Weil am anderen Ende der Welt, in Fukushima, Atomreaktoren explodiert waren. 30 Jahre hatten Gerhard und Bettina Boll dem Protest gegen das Atomkraftwerk Krümmel alles untergeordnet. Als der Kampf beendet war, konnten sie es kaum glauben. Und jetzt?

Die Bolls haben zu einem Tag der offenen Tür eingeladen, in ihren 950 Quadratmeter großen Garten, in ihr Haus in Geesthacht. Sie wollen zeigen, mit welchen Mitteln sie protestierten. Dafür haben sie alles ins Freie geholt, was sich angesammelt hat. Irgendwie ist es lustig, dass der Protest gegen die Atomkraft schon jetzt, nach so kurzer Zeit, zum Museum wird.

In all den Jahren gab es in Geesthacht nicht viele Atomkraftgegner. Das Kernkraftwerk an der Elbe sicherte Jobs. Wenn Bettina Boll ihre Infostände aufbaute, wurde sie häufig angepöbelt. Nachbarn wollten mit ihrer Familie nichts zu tun haben.

Bettina Boll zeigt eine knallgelbe Mülltonne, Lebensmittelpackungen sind darin. "Die habe ich nach Fukushima an die Straße gestellt. Um zu zeigen, dass Lebensmittel zu Gift werden nach einer Atom-Katastrophe", sagt die 58-Jährige. Bettina Boll provoziert gerne. "Glaubt ihr, Jesus hätte Atomanlagen gebaut?" So lud sie 1994 zu einem ökumenischen Gottesdienst ein. Die studierte Modedesignerin hat seit Jahren nicht mehr in ihrem Beruf gearbeitet - ihr Beruf war der Widerstand.

Und sie waren nicht nur in Geesthacht: Die Bolls sind nach Berlin gefahren, um gegen die Laufzeitverlängerung zu protestieren. Bei den Demos immer dabei: ihre großen Buchstaben, die sie aus Pappe gebastelt hat, diese stammen aus dem Dänischen Bettenlager. "STOPP AKW" stand da, oder "EINFACH LEBEN". Jetzt führt Bettina Boll tiefer in ihren Garten. Sie hat die Pappbuchstaben wieder aufgebaut. "AKW AUS" steckt im Erdboden.

Bettina Boll zeigt nach oben, in die Wipfel von zwei Tannen. Mithilfe ihres Sohnes hat sie dort ein Plakat aufgehängt. Auf die Frage: "Da sind Sie raufgeklettert?", führt sie den Beweis vor. "Hier oben bin ich!", ruft sie, als sie oben ist. Und lacht.

Ihr Mann Gerhard ist der Bedächtigere von beiden. "Ich fühle mich bis heute nicht als Gewinner. Ich bin einfach nur erleichtert", sagt der 66-jährige pensionierte Lehrer. In den vergangenen Monaten sei er häufig angesprochen worden, von Menschen aus der Nachbarschaft. "Danke, dass ihr so durchgehalten habt", hätten sie gesagt. Gerhard Boll hat mehrere Aktenordner herausgeholt. Prozessakten. Die Bolls hatten damals vergeblich dagegen geklagt, dass Krümmel ein Zwischenlager werden sollte. Die Klage kostete sie 25 000 Euro, das Geld sammelten sie, indem sie Pflanzen verkauften, mit der Spendendose herumgingen.

Die Bolls fuhren so gut wie nie in die Ferien, sie haben viel in den Widerstand investiert. Sie bekommen erst jetzt die Bestätigung. Ein Mann ist gekommen, auch er war aktiv im Protest. Er sagt, dass er früher drogenabhängig war - und dass die Arbeit mit den Bolls ihn am Leben hielt. Ein anderer Mann erzählt, dass er früher als Chemiker in einem anderen AKW gearbeitet habe. "Es war der falsche Weg."

Und jetzt? Die Bolls sitzen beide im Stadtparlament von Geesthacht. Sie haben ihre nächste Aufgabe gefunden: Sie möchten dafür sorgen, dass das AKW Krümmel abgewickelt wird.