Die Wege von Wladimir Putin und Xenija Sobtschak haben sich wohl für immer getrennt. Der Zögling emanzipiert sich.

Sein Damaskus-Erlebnis hatte Wladimir Wladimirowitsch Putin im Jahr 1990. Ihm erschien zwar nicht wie weiland Saulus ein mystisches grelles Licht auf dem Weg in die syrische Metropole, das diesen zum Apostel Paulus läuterte. Bei Putins brannte ganz profan die Datscha. Die Flammen und die damit einhergehende Lebensgefahr machten aus dem glühenden Kommunisten und beinharten Geheimdienstler auch ein ehrfürchtiges Mitglied der russisch-orthodoxen Kirche.

Das Bekehrungserlebnis kam termingerecht in jener Zeit, als die Sowjetunion samt kommunistischer Partei dem Untergang entgegentaumelte. Da war Neuorientierung gefragt. Gerade für jemanden, der es aus kleinen Verhältnissen immerhin zum Juristen und KGB-Offizier mit Auslandserfahrung gebracht hatte - wenn auch nur in Dresden. Hilfreich war damals auch sein alter Professor Anatoli Alexandrowitsch Sobtschak. Der wurde 1991 erster frei gewählter Bürgermeister in Putins Heimatstadt St. Petersburg. Er erinnerte sich an den strebsamen Schüler, machte ihn zu seinem Stellvertreter und öffnete Putin damit die Türen in die große Politik. Sobtschak galt als von der Marktwirtschaft überzeugter Reformpolitiker. Doch in diesen Fächern erwies sich Putin als nur begrenzt lernfähig. Obwohl er als Präsident nach den chaotischen Jelzin-Jahren für Ordnung und Stabilität sorgte, haftet ihm doch immer etwas Sinistres an. Unerbittlich zeigt er sich vor allem, wenn es um die Macht geht. Das mussten echte Konkurrenten wie der ehemalige Oligarch Michail Chodorkowski spüren, der im sibirischen Lager kaltgestellt ist. Oder jetzt auch eher harmlose Opponenten wie die derzeit vor Gericht stehenden Mädels der Punk-Band Pussy Riot, die in der Moskauer Erlöserkirche die Jungfrau Maria um Erlösung vom ewigen Präsidenten Putin baten. Nicht besonders geschmackvoll, aber auch nicht wirklich bedrohlich. Aber in Macht- und Kirchenfragen versteht Putin nun mal keinen Spaß. Und Kirche und Thron wissen in Russland traditionell, was sie sich schuldig sind.

Das wiederum treibt auch solche junge Russen in die Opposition, von denen es niemand erwartet hätte. Xenija Anatoljewna Sobtschak etwa. Tochter eben jenes Anatoli Sobtschak aus Petersburg - und Patenkind Putins, der sich so bei seinem Mentor revanchierte. Er sorgte dafür, dass Xenija an renommierten Universitäten und an der Diplomatenschule des Außenministeriums studieren konnte.

Doch statt auf das diplomatische Parkett strebte Xenija auf die Tanzpisten Moskaus. In kürzester Zeit und in noch kürzeren Röcken erwarb sie sich - Wasserstoff blondiert, tief dekolletiert und auf Stilettos daherstöckelnd - den Ruf einer russischen Antwort auf Paris Hilton. Für den Fernsehkanal TNT mimte sie eine Beziehungstherapeutin in der Sendung "Dom dwa" (Haus 2), einer lokalen Variante von Big Brother. Doch dann verliebte sie sich ausgerechnet in den aufstrebenden Politiker Ilja Jaschin, einen erklärten Gegner Putins. Seither ist in ihrem Leben nichts mehr, wie es war: Sie begann, sich für die Opposition zu interessieren. Mit einem Anti-Putin-Video mischte sie den Wahlkampf auf. Statt "Dom dwa" moderierte sie eine Politik-Talkshow. Ihre endgültige Wandlung erfolgte dann nicht durch einen hellen Schein, sondern durch den Verlust desselbigen: Onkel Wowa, mittlerweile Pate von ganz Russland, ließ seinem Kind die Scheinwerfer abdrehen. Nach nur einer Folge wurde die Sendung abgesetzt, und seither bleiben ihr die TV-Studios verschlossen. Auf Twitter ätzte Xenija gegen Putin: "Der Mann, dem mein Vater die erste Arbeit gab und die Chance, sich zu ändern, nimmt mir jetzt die Arbeit." Maskierte Polizisten mit Maschinenpistolen durchsuchten Xenijas Wohnung, nahmen ihren Reisepass und eine Million Euro mit, lasen laut aus ihren Liebesbriefen vor. Xenija hat das nicht eingeschüchtert. Im Gegenteil: Den Prozess gegen Pussy Riot nennt sie einen "mittelalterlichen Racheakt" und ihren Patenonkel will sie mittlerweile mit aller Macht stürzen.

Viele Wege führen nach Damaskus - und in ganz verschiedene Richtungen wieder weg.