Vor 30 Jahren erzielte der HSV tatsächlich einmal 95 Bundesligatreffer. Heute müsste für solch ein Resultat ein Wunder her

"Früher war mehr Lametta", sagte Loriots Opa Hoppenstedt. Das ist unbestritten. Früher waren auch mehr Tore, und zwar in der Bundesliga. In der Saison 1971/72 schossen die Bayern den Vogel ab, als sie sogar die 100-Treffer-Marke knackten. 1973/74 brachten es die Bayern noch auf 95 Tore, das gelang 1981/82 auch dem HSV. Bis heute hat diese Trefferzahl in 49 Bundesliga-Jahren kein anderer Verein geschafft.

Dass die Hamburger einmal so intensiv auf Torejagd gingen, mutet aus heutiger Sicht merkwürdig an. Aber in jenem Meisterjahr waren es Horst Hrubesch (27 Tore), Jimmy Hartwig (14), Jürgen Milewski (10), Manfred Kaltz (9), die Treffer erzielten, von denen der HSV, seine Fans und vor allem seine Spieler heute nur träumen können.

Nur noch fünfmal überhaupt brachte es der HSV danach noch auf mehr als 60 Tore: 1982/83 standen 79 zu Buche, ein Jahr später 75 - von nun an ging's bergab. 1991/92 reichten 32 magere HSV-Tore zum zwölften Platz. Interessant, dass in der Saison der Jahrtausendwende Torwart Jörg Butt mit neun Treffern bester HSV-Torschütze war - gemeinsam mit Roy Präger und Anthony Yeboah -, er war der sicherste Elfmeterschütze. Danach wurde die Hamburger Bilanz immer schlechter, die 60 wurde nie mehr erreicht. Herauszuheben ist dabei die Saison 2005/06; Platz drei mit 53 Toren, obwohl der HSV mit Rafael van der Vaart, Stefan Beinlich, Sergej Barbarez und Piotr Trochowski gleich vier Spieler im Kader hatte, die gute und beste Vorlagen geben konnten, die in der Lage waren, einen guten Pass zu spielen.

Ein Trauerspiel auf der ganzen Linie war die vergangene Saison. Die "Torjäger" des HSV hießen Mladen Petric (7 Treffer), Paolo Guerrero (6), und Marcell Jansen (5). Und das bei nur 35 Toren in 34 Spielen - und ganzen drei Heimsiegen!

Und nun? Der "Dino" HSV ist vor seiner 50. Bundesligasaison immer noch auf der Suche nach einem Kreativspieler. Einer, der die spielerischen Eigenschaften eines - zum Beispiel - van der Vaart besitzt. Einer, der die Bälle auf Marcus Berg oder auch Artjoms Rudnevs spielen soll, damit diese dann ihre Tore machen. Aber fehlt wirklich nur der eine Mann, der die Stürmer mit Vorlagen füttert? Ganz sicher nicht. Das müsste dann schon ein Spieler sein, der wahre Wunder vollbringen kann. Denn die Mischung macht's. Spanien hat in diesem Sommer bewiesen, dass eine Europameisterschaft auch "ohne Stürmer" zu gewinnen ist. Die Einstellung aller Spieler ist das alles Entscheidende. Und natürlich auch ein bisschen die Qualität.

Wenn es dem HSV nicht gelingt, eine heiße und engagierte Mannschaft auf die Beine zu stellen, wird die Torquote sicherlich nicht entscheidend höher, und so lange wird der Verein nicht wieder in die nationale Spitze zurückkehren - von der internationalen ganz zu schweigen. "Wir hatten Erfolge, weil wir elf Siegertypen auf dem Rasen hatten - in jedem Spiel", sagt Horst Hrubesch noch heute über seine damalige HSV-Mannschaft.

In dieser Woche kehrte der Tabellenfünfzehnte der vergangenen Saison vom Überlebenscamp aus Schweden zurück. Trainer Thorsten Fink bezeichnet den "Ausflug" als vollen Erfolg. Die Mannschaft sei enger zusammengerückt. Das könnte ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein - wenn es denn stimmt. Ansonsten ist dem HSV von heute ein Satz von Uwe Seeler ans Herz zu legen: "Jetzt müssen alle mal in die Socken kommen." Denn eine willige, heiße, beißende, hungrige, 90 Minuten laufende und bis zum Letzten kämpfende Mannschaft muss man nicht unbedingt zusammenkaufen, die kann auch mit viel Engagement geformt werden.

Siehe Borussia Dortmund. Der amtierende Meister schien vor einigen Jahren am Ende, für den BVB hatte sich der alte Vorstand finanziell total übernommen, die Schulden waren dem Klub über die Köpfe gewachsen - Stars mussten verkauft werden - ähnlich wie zuletzt und seit einiger Zeit in Hamburg. Weniger Stars, dafür engagierte junge Leute - und Borussia Dortmund lehrte nicht nur den FC Bayern das Fürchten, sondern die gesamte Liga.

Ein immer wieder gern genommenes Beispiel, wie es über einen gewissen Zeitraum sogar ohne viel Geld geht. Sachverstand und der hundertprozentige Einsatz aller Mitarbeiter ist in einer solchen Situation gefragt. Man muss nur in die Socken kommen - natürlich. Endlich einmal so richtig mit Schmackes.

Dieter Matz, Abendblatt-HSV-Experte und Blog-Vater ("Matz ab"), mit seiner aktuellen Freitags-Analyse