Die wundersame Verwandlung der Deponie Georgswerder gleicht dem Gestaltwechsel von Frosch zu Prinz: Eine Schutthalde wird Ausflugsziel.

Georgswerder. Doch, auch in Hamburg gibt es Berge. Abendblatt-Autor Josef Nyary stellt sie in loser Folge in der neuen Serie "Hamburg in der Höhe" vor. Die Berge wurden aufgetürmt von Eiszeitgletschern - oder auch mal nur von der Müllabfuhr. Was sie alle gemeinsam haben? Sie alle sind einen Spaziergang, einen Ausflug oder sogar eine Wanderung wert.

Ein grüner Berg im Herzen Hamburgs. Perfektes Panorama: Im Norden die Skyline der Millionenstadt, im Süden die Wäldchen, Wiesen und Weiden der Großen Elbinsel. Wandern oder gar klettern nicht nötig: Mühe- und risikolos schieben Mütter ihre Buggys, Rentner ihre Rollis über den beleuchteten Horizontweg aus Holz und Stahl. Wie ein Ufo schwebt die stählerne Aussichtsplattform über dem zauberischen Blauviolett der Lupinen.

Die Berge an beiden Elbufern sind aus eiszeitlichen Schmelzwassersanden gebaut. Der Berg mitten im Strom enthält erheblich jüngeres Material: Trümmerschutt aus dem Weltkrieg, Bodenaushub, Haus- und Sperrmüll, Ölabfälle, Farben, Lacke ...

Alles Müll, oder was? Die wundersame Verwandlung der Deponie Georgswerder gleicht dem Gestaltwechsel von Frosch zu Prinz: Eine Schutthalde wird Ausflugsziel, eine Giftwüste zum Naturparadies, eine Schmuddelecke zur grünen Idylle.

Und: Aus Abfall wird Energie. Sie gibt Hamburgs jüngstem Hügel einen neuen, zeitgemäßen Namen. 40 Meter hoch, 45 Hektar groß, 14 Milliarden Kubikmeter Inhalt, sieben Millionen Tonnen schwer und erst 64 Jahre alt ist der Energieberg mit seinen vier Riesenpropellern das jüngste Wahrzeichen der Hansestadt am Tor zum Süden.

In der Chronik spiegelt sich die Geschichte unserer Zeit. Seit 1948 karren Lastwagen Schutt aus dem zerbombten Hamburg nach Georgswerder. In den 60er-Jahren wird die Deponie Hamburgs zentrale Abfallbeseitigungsanlage. Erst kommt Haus- und Sperrmüll, von 1967 an auch der Sondermüll der Industrie vor allem aus der Mineralölproduktion und -verarbeitung: Chlorkohlenwasserstoffe (CKW), Lösungsmittel, Naphtalin, Phenolharzemulsionen. Zehn Flüssigabfallbecken und vier Fasslager nehmen die Gifte auf.

1979 wird die Deponie geschlossen, die Renaturierung beginnt. 1983 tritt in Sickerölen das seit dem Seveso-Unglück sieben Jahre zuvor gefürchtete Dioxin aus, der Schandfleck wird zur Gefahrenquelle: Regenwasser hat Schadstoffe in Bewegung gesetzt, CKW und Benzol dringen ins Grundwasser, Pflanzen sterben.

Der Senat sorgt für Sanierung, und bald wird der Problemberg gar zum Ökopionier: 1991 macht der Bund mit dem Stromeinspeisungsgesetz den Weg für Windenergie frei, schon 1992 grüßt der erste Stromspargel die Autofahrer vor den Elbbrücken. Seit 2004 sind es vier, der höchste ragt 100 Meter hoch; ihre jährliche Leistungen reichen für 1400 Zweipersonenhaushalte.

Seit 1986 nutzt die nahe Kupferhütte Aurubis die Wärme der Gase aus der Deponie. Aus dem zweimal im Jahr gemähten Gras wird Biogas. Seit 2009 steht auf dem Berg Hamburgs größte frei stehende Fotovoltaikanlage, 2000 Module auf 5000 Quadratmetern liefern jährlich 400 000 Kilowattstunden, genug für 170 Haushalte.

Die IBA 2013 steuert den nächsten Schritt, der Energieberg wird Aussichtspunkt und Touristenattraktion. Schon jetzt gibt es geführte Besichtigungen. Nächstes Jahr sind die Besucher auf dem drei Millionen Euro teuren Holzweg. Mit spektakulären Ausblicken in alle Himmelsrichtungen, was das Konzept im Stil der Zeit eine "neue Dimension der Wahrnehmung" nennt.

Der "Horizontweg" umkreist ein Hightech-Zentrum: Die Wärmeenergie des gereinigten Grundwassers der Deponie wird unter anderem zum Beheizen des Infozentrums genutzt. Ein neues Informationszentrum mit Metallfassade beantwortet Besucherfragen.

Unter der Ringplattform füllt sich das erhoffte "Zurück zur Natur" rasch mit Leben: Schon zählt das Energieberg-Biotop aus einheimischem Gehölz und Gestrüpp 140 Brutreviere. Manche jungen Bäume sind schon sechs Meter hoch, auch viele Pflanzen von der Roten Liste siedelten sich auf Dauer an. Der Staudenknöterich aus Sibirien genießt allerdings auf dem Energie-Berg keinen Migrantenschutz, denn der krautige Viermeterstängel macht der heimischen Flora das Leben allzu schwer. Die Pflanzen werden abgemäht, die nachwachsenden Triebe unter dunklen Folien erstickt.