Ein ehemaliger Jesuitenpater soll auch in Hamburg Kinder missbraucht haben. Drei Betroffene meldeten sich allein gestern.

Hamburg. Was lange nur befürchtet wurde, ist seit gestern traurige Realität. Der ehemalige Jesuitenpater Wolfgang St. (inzwischen 65) hat auch in Hamburg Kinder missbraucht. Drei Betroffene meldeten sich allein gestern, nur wenige Stunden nachdem bekannt wurde, dass der Pater, der seine Taten in einem Brief gestanden hat, von 1979 bis 1982 auf der Sankt-Ansgar-Schule in Borgfelde Sport unterrichtet hatte.

Einer der Anrufer hat dem heutigen Schulleiter Friedrich Stolze zu verstehen gegeben, es würden sich vermutlich noch mehr Opfer melden. Zumindest aber gebe es eine Vielzahl weiterer Oper, von denen er persönlich wisse. Der Schulleiter sagte gestern, er sei "tief bewegt und erschüttert" von den Anrufen, die er erhalten habe.

"Es hat sich auch die Mutter eines betroffenen Schülers gemeldet. Sie schilderte mir, dass ihr Sohn seit den Geschehnissen seelisch krank und in psychiatrischer Behandlung sei. Es sei sicher, dass die Erkrankung ursächlich mit der Vorgeschichte zu tun habe.""Die Vorgeschichte" - das ist der Unterricht, den ihr Sohn bei dem ehemaligen Jesuiten-Pater Wolfgang St. hatte. Drei Jahre lang unterrichtete St. an der Schule unter anderem Sport - von 1979 bis 1982. Was genau in diesen Schulstunden - davor und danach - in der früheren Jesuitenschule geschehen ist, wird sich nur kaum noch rekonstruieren lassen. Doch wenn die Fälle nicht gänzlich anders gelagert sind als diejenigen, die sich auf der Berliner Elite-Schule Canisius-Kolleg ereigneten, dann ging es um Abhängigkeiten, Strafe und "Belohnung", Duschspiele, intime Berührungen und Schläge auf den entkleideten Hintern. Die Opfer waren Jungen, die sich in frühen Pubertätsphasen befunden haben. Sie dürften demnach heute zwischen 40 und 45 Jahre alt sein.

"Die schlimmen Schilderungen gingen unter die Haut, auch wenn die Vorfälle schon 30 Jahre zurückliegen", sagte Stolze. "Es ist ebenso bewegend wie fürchterlich, zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass die Opfer zum Teil auch Jahrzehnte nach den Taten noch traumatisiert und seelisch tief verletzt sind." Über Einzelheiten hätten die Anrufer nicht gesprochen. Er habe ihnen die Telefonnummer der Berliner Anwältin Ursula Raue gegeben. Sie betreut den Fall in Berlin im Auftrag des Jesuitenordens. Raue sagte gestern Morgen, ihr seien 20 Fälle bekannt. Die drei Fälle aus Hamburg kommen nun hinzu.

Denn ein dritter Betroffener meldete sich gestern Vormittag direkt beim Erzbistum Hamburg. Bistumssprecher Manfred Nielen sagte, nun sei es wichtig, sich Zeit für Gespräche mit den Betroffenen zu nehmen und zu fragen, welche Art Hilfe sie benötigten. Das Erzbistum verfüge über ein engmaschiges Netz an Hilfseinrichtungen, das den Betroffenen jederzeit zur Verfügung stehe.

Schuldirektor Stolze hat Schüler, Eltern und Kollegium der Sankt-Ansgar-Schule in einem Brief über die neuen Erkenntnisse im Fall Wolfgang St. informiert. Ob eine Schulkonferenz einzuberufen sein werde, wolle er prüfen. Darüber hinaus stehe er in einem "sehr engen Kontakt" mit dem Jesuitenorden. Die Politik der Transparenz, die der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs gewählt habe, begrüße er außerordentlich, sagt Stolze.

1993 war die Hamburger Sankt-Ansgar-Schule vom Jesuitenorden an die Katholische Kirche zurückgegeben worden, weil der Orden nicht mehr über genügend Patres verfügte, die hätten unterrichten können. Denn nur unter Verzicht auf die Hamburger Schule konnte das Berliner Canisius-Kolleg erhalten werden. Der dortige Rektor, Pater Klaus Mertes, hatte selbst einige Jahre auf der Sankt-Ansgar-Schule unterrichtet. Die Schulleiter stehen laut Stolze im ständigen, direkten Kontakt. "Es ist wichtig, den Weg des Wegschauens, der offenbar lange gegangen worden sei, endlich zu verlassen." Für die Betroffenen kommt diese Einsicht zu spät.