Vor 50 Jahren entstand das Auditorium Maximum. In eher sorglosen Zeiten und dennoch aus einer Zukunftsangst heraus.

Hamburg. An diesem Fast-Skandal war nicht Klaus Kinski schuld, sondern der Regen. Im November 1960 trat der Schauspieler im Audimax auf, damals der modernste Veranstaltungsraum der Stadt. "Lümmel", schrie einer aus dem Publikum, worauf Kinski zurückbellte: "Ich kann nichts dafür, wenn Sie alle eine halbe Stunde zu spät kommen." Außerdem solle der "Lümmel"-Rufer den Saal verlassen, sonst trete er nicht auf. Sofort!

Was war geschehen? Ein einziger Kassierer nur verkaufte Karten für Kinskis Show, unterstützt von zwei Sicherheitsleuten, die nicht nur die aufgeheizte Meute zurückhielten, sondern auch darauf bestanden, dass jeder der 1600 Gäste seine Garderobe abgebe, was dauerte. Weitere Helfer seien nicht aufzutreiben gewesen, sagte der zerknirschte Veranstalter: "Von zehn Bestellten blieben sieben bei dem Regen zu Hause und zogen die Fernsehschau einem Extraverdienst vor."

Sorglose Zeiten scheinen das gewesen zu sein, damals, während des Wirtschaftswunders. Und doch entstand das Auditorium Maximum, das im November vor 50 Jahren fertig wurde, aus Zukunftsangst heraus. Experten warnten vor der "Bildungskatastrophe": Wenn Deutschland seine Hochschulen nicht ausbaue, Bildung nicht als Ressource nutze, verliere es den Anschluss an die Welt. So wurde das Audimax zum Symbol der neuen Massenuniversität. Und zum Zeichen einer Gesellschaft, in der Bildung ein Bürgerrecht sein sollte.

Vielleicht erklärt das auch die Sache mit der Eierschale. Weil eine Eierschale nämlich fordernd ist; dünn und zerbrechlich, hat sie sich als Schutz für werdendes Leben bewährt - auch deshalb, weil sie zu einem behutsamen Umgang damit zwingt. Baumeister Bernhard Hermkes gefiel wohl diese Idee. Die Kuppel des Audimax mit 65 Meter Radius, ähnlich einer Muschelschale, ist dreizehn Zentimeter dick. Im Maßstab ist das dünner als die Schale eines normalen Hühnereis. Auch wenn Metallstreben die Konstruktion fest auf den Wänden ruhen lassen, so erinnert sie: Die unabhängige Lehre, vornehmster Inhalt des Hörsaals, braucht schützende Hände.

Nebenbei war dies eine gefeierte Ingenieursleistung, für die man die sprunghaft steigenden Baukosten (letztlich fünf Millionen D-Mark) in Kauf nahm. Doch nicht nur das Ei, sondern in diesem Sinne auch die Henne des Campus bietet eine technische Raffinesse, die zum historischen Zufall wurde. Das Uni-Hauptgebäude, der 1911 eingeweihte Kuppelbau an der Edmund-Siemers-Allee, überstand die Bomben des Zweiten Weltkrieges, weil der Dachstuhl aus Beton gefertigt wurde, "aus einem Guss", wie Kunsthistoriker Hermann Hipp schreibt. Das bewog Stadtplaner zum Pragmatismus, den Campus auf seinem heutigen Gebiet und damit in prominenter City-Lage zu entwickeln. Bis zum Bau des Audimax fanden Vorlesungen auch in Kino- und Tanzsälen statt oder in den übrigen, ramponierten Hörsälen. "Man stand frierend im Wintermantel vor den Hörern und sah Ratten vor den Kathedern spazieren", erinnert sich Pädagoge Wilhelm Flitner. Das Studentenhaus, das Audimax, der "Wolkenkratzer" (Philosophenturm), dieses Ensemble entstand von 1953 und 1962. für eine Uni mit erstmals mehr als zehntausend Immatrikulierten. (Heute: rund 40 000).

"Das Audimax ist auch eine tragische Geschichte", sagt Uni-Historiker Eckhard Krause. Zwar sei die Stadt bestrebt gewesen, der wachsenden Uni alles Erforderliche zu bieten. "Doch bereits bei seiner Fertigstellung war es zu klein." Bis heute ist das Platzproblem beliebtes Argument in politischen Debatten um eine Verlagerung der Universität. Treppenwitz der Geschichte ist, dass Architekt Hermkes auch die Großmarkthallen am Klostertor baute. Hierhin, so riet kürzlich die Handelskammer, könne der Campus verlegt werden.

Doch das Audimax ist mehr als eine bauliche Hülle. Wenn es in diesen Tagen von Studenten besetzt ist, dann schließen sich historische Kreise. Es ist nicht nur Ei, sondern auch Brutstätte.

1967: Überfüllt war das Audimax, als sich Student Ullrich durch die Sitzreihen nach vorne drängte. "Wie auf einem Beat-Festival", schreibt Uwe Timm in seinem Roman "Heißer Sommer". Studenten mit "Backenbärten, Schnauzbärten, Kinnbärten, Vollbärten" rauchten Zigaretten und schnippten Papierkugel in die vorderen Reihen. Rhythmisches Klatschen empfing Professor Renke, der mit gerötetem Gesicht und zittrigen Händen seine Vorlesung zu halten versuchte, so als ob nichts wäre. Professor Renke verkörperte das, wogegen die Studenten protestierten: "Der Erzieher muss in dem Jugendlichen eine reine Liebe zum Führer wecken", habe er im Jahr 1940 geschrieben. Damit war der Roman-Professor nicht nur Nazi gewesen, sondern repräsentierte auch die Ordinarien-Universität, in der Professoren in schwarzen Talaren wandelten. So ist die Protestaktion vom 9. November 1967 zu verstehen: Zum Rektorenwechsel, das Audimax war voll besetzt, entrollten die AStA-Vorsitzenden das Transparent: "Unter den Talaren, Muff von 1000 Jahren". Gemeint war damit auch das "Tausendjährige Reich".

Seit diesem Tag verzichten die Professoren auf die Umhänge. Und mehr noch: Die Wahl des Uni-Präsidenten Peter Fischer-Appelt im Jahr 1969 schrieb als erste dieser Art deutsche Universitätsgeschichte. Auf einem vibrierenden Konzil sprachen die Kandidaten stundenlang vor, bis mehr als 100 Uni-Vertreter ihre Stimmen abgaben. In diesen Tagen, zu seinem 50. Geburtstag, ist das Audimax von Studierenden besetzt, und es ist, als wünschten sich viele vergangene Zeiten zurück. Die Proteste gelten auch der nicht öffentlichen Wahl des neuen Präsidenten Dieter Lenzen durch Hochschulrat und Akademischen Senat.

Wer eine der Besetzerpartys im Audimax besucht, lernt eine weitere, eher unpolitische Besonderheit des Baus kennen: Butterweich strömen die Bässe aus aufgestellten Lautsprechern durch die flach abfallenden Sitzreihen. Studenten tanzen in der ersten Reihe, zu einem Klang der besser als in den meisten Klubs der Stadt ist. An der TU Berlin bauten Studierende ein Modell im Maßstab 1:9, um die Akustik auszutüfteln.

Mit dem Audimax ist gelungen, was nicht vielen Bauwerken der 50er-Jahre vergönnt ist: Es ist politisch noch relevant - und altert in Würde. Die luftigen Treppen zu den oberen Rängen, die kühle Ästhetik der Eingangslobby: Nach einer Renovierung vor einigen Jahren, für die viele Hamburger nach Aufruf des Abendblatts neue Stühle stifteten, ist die Architektur heute noch ernst zu nehmen.

Wie unfreiwillig komisch wirkt dagegen das angestaubte Foyer des nur wenige Meter entfernten Congress Centers Hamburg (CCH), das erst im Jahr 1973 das Audimax als Veranstaltungsort ablöste. Dort klappt es allerdings besser mit Kasse und Garderobe als beim Klaus-Kinski-Desaster im Audimax 1960. Aber einer wie dieser tritt in diesen Tagen ja ohnehin kaum auf.