23-Jähriger zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Angeklagter beruft sich im Prozess auf Erinnerungslücken nach Sauftour.

Hamburg. Der Druck lastet offenbar gewaltig auf dem 23-Jährigen, das Angebot des Richters zum Geständnis nimmt er deshalb ohne zu zögern an: Begonnen habe alles mit einer Sauftour, gesteht Krystian S. in gebrochenem Deutsch. "Wodka, viel Wodka" hätten er und sein Kumpel Ahmed F. an jenem Abend im Oktober vergangenen Jahres getrunken. Zu viel, um sich erinnern zu können. Und so bleibt der 23-Jährige gestern dem Amtsgericht trotz vieler Worte schuldig, wie es dazu kommen konnte, dass er auf dem Kiez ein fremdes Hotelzimmer betrat und die dort neben ihrem Freund schlafende Frau sexuell berührt hatte. Allein, dass er das Pärchen zuvor auch noch bestohlen hatte, bestreitet er nicht.

Entkräftet wird sein Erklärungsversuch durch die bewegende Aussage von Judith V., der 30 Jahre alten Niederländerin, an der sich der 23-Jährige in der Nacht auf den 26. Oktober vergangen haben soll. Die junge Frau, die ihre langen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, soll in Tränen ausgebrochen sein, als sie zur nicht öffentlichen Vernehmung in den Gerichtssaal gerufen wurde und dabei auf den Angeklagten traf. Ihre Zeugenaussage, so betont es der Staatsanwalt später im Plädoyer, traf sie jedoch äußerst gefasst.

Die Niederländerin war zusammen mit ihrem 37 Jahre alten Freund Martijn L. als Touristin zu Gast in Hamburg, beide gingen spät ins Bett, schliefen erst gegen 2 Uhr in der Nacht ein. Die beiden schliefen fest, als der 23-Jährige ihr Hotelzimmer betrat. Dennoch schreckte Judith V. auf, als sie die Berührungen an ihrem nackten Körper spürte. "Als ich aufgewacht bin, ist der Mann sofort zur Tür gestürmt", sagt die 30-Jährige, die als Redakteurin bei einem Wissenschaftsverlag arbeitet. Dann habe er sich noch einmal umgedreht und sie für ein paar Sekunden angesehen. Ob es wirklich Krystian S. war, kann Judith V. jedoch nicht zweifelsfrei bestätigen. Dass der angeklagte Lagerarbeiter in dem Hostel zur besagten Zeit war, ist jedoch dokumentiert: Eine Überwachungskamera filmte ihn, als er kurz nach 4 Uhr an der Rezeption des A&O Hostels auf der Reeperbahn nach dem Ausgang fragte und schließlich das Haus verließ.

Darauf angesprochen, erklärt der Angeklagte, der sich wegen Diebstahls und sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger zu verantworten hat: Nach der Sauftour sei er mit einer fremden Frau mitgegangen, die ihn in ihre Wohnung geführt hatte. "Da ist aber nichts passiert", so etwas mache er eigentlich sowieso nicht. Danach habe er die Wohnung verlassen, sei betrunken in einem Innenhof herumgeirrt und irgendwie in das Hostel gelangt. Dort habe er ein Zimmer im zweiten Stock gefunden, dessen Tür nicht abgesperrt gewesen sei.

"Beim Hereingehen habe ich eigentlich an nichts gedacht", sagt der 23-Jährige. Er habe zwei Handys gesehen und eingesteckt. Auch das deckt sich nur zum Teil mit den Aussagen der Opfer, die neben den Mobiltelefonen auch eine Nintendo-Spielkonsole DS XL und eine Packung Zigaretten vermissten. "Ich bin mir sicher, dass ich nichts mit der Frau gemacht habe", wiederholt der Angeklagte immer wieder, als müsse er sich auf diese Weise Mut zusprechen.

Das Gericht kann er damit nicht überzeugen: Gegenüber den gefassten und glaubhafter wirkenden Aussagen des Opfers erscheint seine Geschichte immer fragwürdiger. Der Richter bezweifelt zudem, dass Krystian S. derart viel getrunken hatte, dass er nicht mehr Herr seiner selbst war. In der abschließenden Urteilsverkündung billigt er dem 23-Jährigen für den Tatabend deshalb eine "erhebliche Enthemmung", aber keine völlige "Steuerungsunfähigkeit" zu. Allerdings lässt er Zweifel offen, ob Krystian S. zu dieser Tat fähig gewesen wäre, hätte er keinen Alkohol getrunken. Dass der 23-Jährige die Tat begangen hatte, daran gibt es für das Gericht keinen Zweifel. Das Urteil: Ein Jahr auf Bewährung.

"Die Strafe ist als Warnung zu verstehen", betont der Richter. "Falls so etwas noch einmal vorkommt, heißt das Gefängnis", hebt auch der Staatsanwalt hervor. Schließlich sei die Tat durchaus schwerwiegend einzustufen. Krystian S. sei bei der Frau, mit der er zuerst mitgegangen war, abgewiesen worden. "Vielleicht suchte er auf diese Weise Bestätigung?", fragt der Staatsanwalt.

Nach der Befragung nimmt Martijn L. seine Freundin in den Arm und küsst sie. Ihre Smartphones im Wert von mehr als 700 Euro erhielten die beiden noch im Gerichtssaal wieder. Die Erinnerung an den nächtlichen Schock werden sie so schnell nicht vergessen.