“Sie sonnt sich ein wenig eitel“ - warum unsere Selbstverliebtheit in Hamburg auch zu einem Problem werden kann

Manchmal können wir Hamburger verdammt kleinkariert sein. Dann endet die uns bekannte Welt an Bille, Elbe, Alster, unser Horizont am Tellerrand. In diesen Momenten sind wir weniger das Tor zur Welt als vielmehr der Tor der Welt.

Es ist genau der Moment, wenn wieder einmal jemand sagt: Hamburg ist die schönste Stadt der Welt. Und das wird in dieser Metropole gefühlt 100 000-mal am Tag irgendwo geseufzt, geschrieben, ins Mikrofon gerufen oder auf Papier gedruckt.

Wahrer aber wird es durch die ständige Wiederholung nicht.

Mit Verlaub - wer kann das überhaupt beurteilen? Allein in Deutschland gibt es derzeit 2064 Städte. Wollte man alle diese Orte nur einen Tag anschauen, hätte man schon fünf Jahre und 238 Tage zu tun. Und dann wäre man noch nicht einmal im Ausland gewesen und hätte keine der Zehntausenden anderen Städte kennengelernt. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen.

Doch wer sich den Spaß macht, in die Internetsuchmaschine "schönste Stadt der Welt" einzugeben, dem ergänzt google.de gleich seine Anfrage um den Städtenamen Hamburg. 584 000 Seiten tragen diese Botschaft. Berlin liegt mit 563 000 Treffern dahinter, 504 000-mal taucht München in dieser Kombination auf, 432 000-mal Wien, 390 000-mal Heidelberg.

Bevor man nun aber die oft zitierte und selten bewiesene "Klugheit der Masse" als Beleg anführt: Dresden kommt auf 1,1 Millionen Treffer und Zürich auf 690 000. Die Schweizer können zudem darauf verweisen, Sieger beim Städtetest des Unternehmensberaters Mercier zu sein.

Er bemisst und vergleicht jährlich die Weltstädte nach Lebensqualität. Düsseldorf landet demzufolge auf Rang 6, Hamburg taucht unter den besten Zehn nicht einmal auf. In einer Umfrage des Reiseportals TripAdvisor haben sich Internetnutzer für London entschieden, Hamburg sucht man vergeblich. So seltsam wie sinnfrei derlei Rankings sein mögen, eines fällt auf: Selbstbild und Fremdbild passen in Hamburg nicht so recht zusammen. Das mag zum einen daran liegen, dass zu viele von buten die Hansestadt nicht kennen, während man sich zum anderen binnen an der eigenen Schönheit berauscht.

Hochmut aber gilt seit jeher als Todsünde, Selbstverliebtheit ist spätestens seit "Schneewittchen" verpönt. Wir sollten nicht ständig in den Spiegel schauen, um zu hören, wer die Schönste im Land ist.

Ohnehin sollte es für Hamburg und die Hamburger wichtiger sein, besser zu werden, als schön zu sein . Selbstgefälligkeit ist seit jeher kontraproduktiv - man richtet sich behaglich ein, man blendet aus, was nicht in das Bild der "schönsten Stadt der Welt" passt. Man wird konservativ - und manchmal auch etwas borniert. In kaum einer anderen Stadt wird um die Herkunft ein solches Bohei gemacht - als ob Abstammung in einer offenen Gesellschaft einen Wert darstellt. Natürlich darf man sich freuen, ein gebürtiger oder geborener Hamburger zu sein. Eine Leistung aber ist es nicht.

Derlei aristokratisches Denken passt nicht in eine moderne Bürgerstadt. Genauso wenig wie der weit verbreitete Wunsch vieler Hamburger Abiturienten, unbedingt an der Elbe studieren zu wollen. Wer seinen Horizont erweitern will, sollte ihn zu erobern trachten. Es ist kein Zufall, dass gerade die erfolgreichen hanseatischen Kaufmannsfamilien darauf stets großen Wert legten.

Eine erfolgreiche Metropole im 21. Jahrhundert benötigt den Austausch, neue Köpfe, neue Ideen, neue Herzen. Schönheit ist gut, aber kein Selbstzweck. Und wenn es gediegen wird, wird's gefährlich.

Das Versprechen Berlins, "arm, aber sexy" zu sein, ist durchaus als Seitenhieb auf Hamburg zu verstehen. Ganz neu ist das nicht: "Hamburg schläft, meine Schöne, sie träumt. Sie ist eitel mit ihren Tugenden, ohne sie recht zu nutzen; sie genießt den heutigen Tag und scheint den morgigen für selbstverständlich zu halten - sie sonnt sich ein wenig zu selbstgefällig." Und weiter: "Ihr (Hamburger) seid ohnehin ein wenig zu stolz ... Ihr seid ohnehin in Gefahr, Pöseldorf für den Nabel zu halten."

Das schrieb ein Hamburger Politiker, der ungenannt bleiben wollte, im Jahre 1962. Zwölf Jahre später wurde er Kanzler. Recht hat Helmut Schmidt damit bis heute.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt