Die Affäre um die Nazi-Tattoos des russischen Baritons Evgeny Nikitin - oder wie die Haut die Politik zu Markte trägt

Der Aufreger der diesjährigen Bayreuther Festspiele war zweimal Haut(e) Couture. Einmal, dass Merkel in blauer Robe auftrat, im selben Kleid, das sie schon 2008 getragen hatte. Der schwerere Fall war der Sänger Nikitin, der seine jetzt 38-jährige Haut in seiner wilden Jugendzeit mit Nazi-Tattoos bedeckt hatte. Sicher wäre er gern für Bayreuth aus der Haut gefahren, aber er musste erfahren: Niemand kann aus seiner Haut. Zwar hat er die Swastika tätowierend übertüncht, aber da war es schon zu spät. Also: Haut den Lukas!

Tattoos bin ich zum ersten Mal in einem Lied von Hans Albers begegnet. Das hieß: "Beim ersten Mal, da tut's noch weh" und ging so: "Ihr Erster, das war ein Matrose / Der war auf der Brust tätowiert / Er trug eine meerblaue Hose / Und sie hat sich so schrecklich geniert." Klar ist, Tattoos waren damals etwas für Matrosen, Heimathäfen, Rotlichtmilieu, Zirkus und fahrendes Gewerbe. Die christlichen Seefahrer brachten die Tattoos aus der Südsee, aus Japan und Amerika mit, als Körper-Graffiti von den damals so genannten Naturvölkern.

Später kam das Tattoo in die Punkkultur. Politisch schockierend sollten dabei verpönte politische Symbole sein; im Westen schon mal Hammer und Sichel und Mao, im ehemaligen Ostblock also eher das Hakenkreuz und Nazi-Runen. Dann avancierte das Tattoo zum Schönheitsschmuck. Junge Mädchen und junge Männer, die ans Ewige der Liebe und der Gesinnung glaubten, tätowierten sich Herzen und den Namen der Geliebten, also Anna oder Barbara, und dachten nicht daran, dass die Namen Jahrzehnte später als wellige Buchstaben traurig Falten werfen würden und die Ehefrau Klara sie angemistet anblickte. In den 1990er-Jahren kam das Arschgeweih, das damals über den atemberaubend engen Jeans sein Adrenalin-Signal aussandte. Auch da möchte man nicht wissen, wie es inzwischen fällt und gefällt. Und es kamen die Tattoos auf der weißen Schulter, verlockend wie Schönheitspflästerchen, und auch hier wieder eine Anspielung auf das Milieu. Von den Naturvölkern zur Schulter der Ex-Präsidenten-Gattin Bettina W. Ein weiter Weg, über dessen Resultat sich die Stammtische das Maul zerrissen.

In Bayreuth sind Nazi-Tattoos von besonderem Reiz, da Hitler fast zum Stiefvater von Wolfgang und Wieland geworden wäre. Schon Urvater Richard war bekennender aggressiver Antisemit. Und das Tattoo überhaupt in der Nazi-Zeit war einmal bei der Waffen-SS zur Blutgruppenbestimmung und Lebensrettung einer Elitetruppe eingeritzt, und zweitens als Registriernummer für KZ-Häftlinge, als viehischer Stempel für Todgeweihte eingestochen.