Noch sind der jungen Partei die Erfolge eher zugeflogen - doch jetzt muss sie Antworten und einen eigenen Politikstil finden

Das Piratenschiff schaukelt locker durch den Sommer. Kein Unwetter und keine feindlichen Kanonen in Sicht. Das Schiff ist bis obenhin mit frischer Beute gefüllt - Wählerstimmen und Landtagsmandate. Die Mannschaft musste nicht groß darum kämpfen. Es reichte, die Piratenflagge zu hissen, da strömten die Wähler in Scharen herbei. Viele von ihnen wollten auch gleich selbst Piraten werden. Allein in Nordrhein-Westfalen, wo die Piraten im Mai auf 7,8 Prozent kamen, hat sich die Mitgliederzahl innerhalb eines Jahrs auf 6000 verdreifacht.

Der Erfolg der Piratenpartei mutet wirklich an wie eine Geschichte aus dem politischen Schlaraffenland. Allein das Versprechen eines neuen Politikstils, von Transparenz und Beteiligung jedes Einzelnen, scheint die Partei verlässlich über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven. Laut allen Umfragen auch bei der Bundestagswahl in gut einem Jahr. Doch diese Wahl ist anders als eine Landtagswahl, wo die Piraten stets mit der Ansage durchkamen: Erst ziehen wir mal ins Parlament ein, dann lernen wir, wie es funktioniert.

Bei der Bundestagswahl wird es darum gehen, wie der Euro stabil gehalten werden soll, ob Deutschland für Europa Teile seiner Souveränität aufgibt und vor allem: Ob Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Da müssen die Piraten schon vor dem Wahltermin Antworten parat haben. Zum Beispiel auf die Frage, ob sie einen rot-grünen Kandidaten im Bundestag mit zum Kanzler wählen würden. Diese Spekulation liegt nahe, nachdem Hannelore Kraft (SPD) bei ihrer Wahl zur NRW-Ministerpräsidentin viele Piratenstimmen bekam.

Das Piratenschiff wird vor der Bundestagswahl Segel setzen und sich den politischen Winden aussetzen müssen. Noch ein Jahr hat die Mannschaft Zeit, klar Schiff zu machen. Die junge Partei muss drei drängende interne Probleme lösen: Sie muss die Bedeutung des Internets für ihren Politikstil und ihre politischen Inhalte definieren, sie muss zu einem pfleglichen Umgang untereinander finden, und sie muss sich, zumindest in Teilen, professionalisieren.

Bundespräsident Joachim Gauck hat den Piraten zu Recht vorgehalten, sie betrachteten ihre "Beheimatung" in der Netzwelt "schon als Wert an sich". Dabei bieten die neuen Medien zwar viele Möglichkeiten der Kommunikation, aber die stehen allen zur Verfügung. Twittern können auch der CDU-Minister Peter Altmaier und Regierungssprecher Steffen Seibert. Das ist kein Piratenprivileg. Dagegen ist das Internetsystem "Liquid Feedback", mit dem die Piraten politische Diskussionen und Abstimmungen revolutionieren wollten, unvollkommen und nicht verlässlich einsetzbar. Ohnehin hätten die Piraten nicht allein darauf setzen können, denn unter ihren neuen Mitgliedern haben viele keinen Bezug zum Internet: Sie nennen sich Offline-Piraten.

Der Kontakt übers Internet hat in der Partei auch zu einer Verrohung der Umgangsformen geführt, mit bösartigen Attacken. "Das unmittelbare Gespräch scheint zivilisierter zu sein", findet Piratenchef Bernd Schlömer. Und der NRW-Landesvorsitzende Sven Sladek meint generell: "Was wir früher gemacht haben, dass wir uns gezofft haben, einfach weil wir Spaß daran hatten - das fände ich heute unverschämt unseren Wählern gegenüber."

Für Zoff und Verdruss sorgt auch die Überforderung vieler Vorstände und Mitarbeiter in ihren Ehrenämtern. Viele haben es satt, kostenlos bis in die Nacht zu schuften. Deshalb traten zwei Pressesprecher auf Bundesebene zurück. Immerhin hat der neue Bundesgeschäftsführer Johannes Ponader seinen Versuch aufgegeben, kostenlos für die Partei zu arbeiten und gleichzeitig Hartz IV zu kassieren. Er werde bald feste Einkünfte haben und bis dahin von Freunden unterstützt werden. Egal wer zahlt, Freunde oder die Parteikasse - Ponader ist jetzt ein Berufspolitiker.

Das Verdienst der Piraten besteht bisher darin, neue Bevölkerungsgruppen an die Politik herangeführt zu haben, etwa die jungen Internetbegeisterten der "digitalen Boheme". Aber wenn die politische Kaperfahrt weitergehen soll, braucht es neue Fähigkeiten und neue Ziele. Auch das stolzeste Piratenschiff ist nicht unsinkbar.