Ein Reisebericht aus der U 3, der gelben Linie von Barmbek nach Wandsbek-Gartenstadt. Unterwegs auf Hamburgs ältester U-Bahn-Strecke.

Reisereportagen führen Journalisten meist in ferne Länder. In unserer Serie reicht hingegen ein HVV-Ticket - denn die Reiserouten sind die U- und S-Bahn-Linien der Stadt. Auch dort gibt es viel zu sehen und zu entdecken: kleine Dinge, die wir im Alltag meist nicht beachten; kleine Geschichten aus den Waggons, Haltestellen und Bahnhöfen Hamburgs und seiner Umgebung. Heute: die U 3

Einmal von Barmbek nach Barmbek, bitte! In die Fahrplanauskunft auf der Internetseite des HVV eingegeben, führt dieser Verbindungswunsch zu einer ungewöhnlichen Empfehlung des Verkehrsverbundes: "Start und Ziel liegen nah beieinander. Gehen Sie bitte zu Fuß." Zu Fuß? Mitsamt der Anderthalbjährigen im Kinderwagen? Nein, danke! Schließlich sind es von Barmbek nach Barmbek fast 20 Kilometer. Zumindest dann, wenn man der Linienführung der U3 folgt und wie Vater und Tochter zu einer Stadtrundfahrt aufbrechen will.

Genau dafür bietet sich Hamburgs älteste U-Bahn-Strecke nämlich bestens an. Von Barmbek aus führt sie einmal im großzügigen Kreis um die Alster wieder zurück zum Ausgangspunkt. Quasi als Zugabe geht es anschließend noch zwei Haltestellen weiter bis Wandsbek-Gartenstadt.

2,85 Euro kostet die Tour, die der Online-Automatismus nicht vorsieht. Für 5,60 Euro kann man sogar stundenlang im Kreis fahren und immer wieder ein- und aussteigen. Hop-on, Hop-off, nicht nur für Touristen. Also ab zum Barmbeker Bahnhof, Tagesticket kaufen und Ring frei! Wobei letztgenanntes Motto für die U 3 derzeit nur mit der Einschränkung gilt, dass die ersten vier Stationen wegen Bauarbeiten mit dem Ersatzbus zurückgelegt werden müssen. Der Start in ein kleines Abenteuer.

Schon beim Einsteigen gibt es Probleme. Papa zögert einen Moment zu lang, und schwups ist der Kinderwagen in der Tür eingeklemmt. "Die geht automatisch zu", ruft der Busfahrer entschuldigend von vorn. Als Erklärung für die Mama des Kindes hätte das zu Hause wohl nicht gereicht. Aber zum Glück ist der kleinen Anna ja nichts passiert und die Tour kann weitergehen. An der wegen der Bauarbeiten verhüllten Haltestelle Saarlandstraße vorbei fährt der Bus in Richtung Winterhude. 17 Millionen Euro investiert U-Bahn-Betreiber Hochbahn aktuell in die Erneuerung von Brücken und die Sanierung von Stationen der Ringlinie. Ende August sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Das hofft auch Ergül Demiroglu, der den kleinen Fenster-Kiosk an der Haltestelle Borgweg betreibt und aktuell bis zu 70 Prozent weniger einnimmt.

Vater und Tochter sind auch keine Umsatzbringer. Der Buggy ist bereits voll beladen mit Wasser, Bananen und allem, was man sonst eben so braucht bei einer Tour mit Kleinkind. Bestens ausgestattet geht es durch den Stadtpark zum Planetarium. 9,50 Euro kostet der Eintritt für einen Erwachsenen - sicher lohnenswert, aber für einen Kurzbesuch mit Anna zu viel. Also noch ein bisschen Rumtollen auf der Wiese und dann zurück zur U-Bahn. Nach dem Malheur im Bus am besten dorthin, wo sie tatsächlich fährt - zur Kellinghusenstraße. Auf der Strecke bleibt dabei einer der ursprünglichsten U-Bahnhöfe Hamburgs - die Station Sierichstraße mit ihrem klein gepflasterten Bahnsteig, original Sitzbänken und Zugabfertigerhäuschen sowie der historischen Haltestellen-Beschilderung mit weißer Schrift auf schwarzem Grund.

Für diese Details hätte Anna sowieso noch keinen Sinn gehabt, ganz anders als für die englischen Geschäftsleute, die kurz darauf in der Bahn schräg gegenüber sitzen. Da wird gelacht, gewunken und aufgeregt gebrabbelt. Überhaupt scheinen die sonst häufig in Handys, Zeitungen oder sich selbst vertieften Mitreisenden angesichts der jungen Dame an Bord viel aufgeschlossener zu sein. Viele schauen lächelnd herüber statt wie sonst ins Leere zu starren oder einen flüchtigen Blick in die Fenster der prächtigen Mehrfamilienhäuser nahe der Gleise zu werfen.

Spätestens jetzt ist auch klar, warum die Hochbahn ihren Namen trägt. Nur neun von 26 Haltestellen der U 3 befinden sich unter der Erde, die meiste Zeit sind die Fahrgäste mit der gelben Linie oberirdisch unterwegs. Kurz vor der Haltestelle Eppendorfer Baum überquert die Bahn beispielsweise den Isebekkanal, anschließend folgen 825 Meter auf einem Viadukt, unter dem immer dienstags und freitags einer der beliebtesten Hamburger Wochenmärkte lockt. Richtung Hoheluftchaussee soll es auf dem Isemarkt angeblich immer etwas billiger werden. Was zu überprüfen wäre. Irgendwann.

Anna klopft derweil fleißig an das zerkratzte Fenster des Waggons. Ihre U-Bahn-Premiere scheint Spaß zu bringen. Zuvor hatte die U 3 in ihrem Leben nur einmal eine Rolle gespielt - als Pflichtuntersuchung beim Kinderarzt. In Sachen Gewicht und Größe sind die Daten der U-Bahn natürlich eindrucksvoller: Ein U-3-Standardzug misst 80 Meter und wiegt fast 100 Tonnen.

Bis zur Sternschanze bleibt das Vater-Tochter-Gespann an Bord, dann geht es raus ins pralle Leben des Szeneviertels. Der Weg dorthin ist stufenreich, zum Glück packt ein junger Mann mit an. Ganz schön anstrengend, so ein Trip! Bei "Oma's Apotheke" an der Schanzenstraße gibt es zwar keine Mittelchen gegen schmerzende Füße, aber immerhin eine kalte Cola für den Papa und einen kleinen Snack fürs Kind.

Zwei Reiswaffeln später heißt es Aufbruch, beim Einrichtungsladen Wohngeschwister noch den von der Frau aufgetragenen Deko-Artikel besorgen und dann mal kurz am Heiligengeistfeld vorbeischauen. Die Zeit rennt, und auch das Duo nimmt Fahrt auf. Am Dom führt mit Kind bald wohl kein Weg vorbei. Doch jetzt schläft die kleine Anna, und der Vater kann noch einen kurzen Blick auf den Baufortschritt am Millerntor-Stadion werfen.

Gleich zwei Haltestellen der U 3 liegen mit der Station Feldstraße und dem allabendlichen Kiez-Entree St. Pauli in unmittelbarer Nähe zur Spielstätte des Zweitligaklubs aus dem Stadtteil. "Ohne die U-Bahn in der Nähe wäre die Anreise für viele Fans ein großes Problem", sagt Christian Bönig, Sprecher des FC St. Pauli. Er schätzt, dass mehr als 10 000 Zuschauer pro Spieltag mit dem umweltfreundlichen Verkehrsmittel anreisen. Dabei hat ein Zug der U 3 nur etwa 200 Sitzplätze. Aber ein echter Fußballfan steht ja ohnehin lieber.

Auch jetzt lohnt sich das Sitzen nicht, denn mit den Landungsbrücken naht schon das nächste Etappenziel. Und der nächste Kraftakt. Auch hier führt der Weg zum Ziel nur über zahlreiche Treppen - mehr als die Hälfte der U-3-Haltestellen sind noch nicht barrierefrei. Die Anstrengung lohnt sich jedoch spätestens bei Ankunft an "Brücke 10". Auch unter der neuen Pächterin Britta Germann gibt es dort satt belegte Krabbenbrötchen, bei denen trotz 4,90 Euro pro Stück das Preis-Leistungs-Verhältnis noch stimmt.

Mittlerweile ist auch Anna wieder im Aktivmodus und schaut den vorbeifahrenden Schiffen hinterher. Als sich auf dem Rückweg zur Haltestelle ein paar Halbstarke rumschubsen und dabei ordentlich Rabatz machen, ist das der Kleinen nicht geheuer. Sie will auf den Arm. Zum Glück helfen erneut zwei Männer beim Tragen. Wie viele hilfsbereite Menschen an diesem Tag unterwegs sind, ist mindestens genauso erstaunlich, wie die Tatsache, dass es an einer Station wie den Landungsbrücken keinen Fahrstuhl gibt.

Wie sich eine Mutter mit Zwillingswagen dort abmühte, berichtet kurz darauf in der U-Bahn ein Ehepaar aus Österreich. Insgesamt seien sie aber mit dem öffentlichen Nahverkehr in Hamburg sehr zufrieden, sagen die Holleis aus Salzburg. Die Frau auf dem Nachbarplatz fährt eigentlich lieber mit dem Auto. Wegen der hohen Spritpreise weiche sie aber oft auf die Bahn aus, erklärt die Rentnerin aus Bramfeld. Ihren Namen will sie nicht nennen. Schließlich wüssten ihre Nachbarn nichts von ihrem Zweitleben an den Landungsbrücken, wo sie sich täglich für mehrere Stunden aufhält, um sich mit teilweise wildfremden Menschen zu unterhalten. Zu Hause sei es ihr zu langweilig.

Von Langeweile kann man auf dem Streckenabschnitt entlang des Hafens sicher nicht sprechen. Rund um den Baumwall herrscht freie Sicht auf viele Wahrzeichen der Stadt und solche, die es werden sollen wie die Elbphilharmonie. Über den Rödingsmarkt geht es zur steilsten Rampe einer deutschen U-Bahn-Strecke und zu einer Haltestelle, die nicht nur wegen ihrer unterirdischen Lage von dunklen Zeiten zeugt. Wer von 1934 bis 1945 zum Rathaus wollte, musste am Adolf-Hitler-Platz aussteigen. Dass sich die Zeiten glücklicherweise geändert haben, beweist auch ein Plakat im Waggon, das für das nach einem jüdischen Schauspieler benannte Ernst-Deutsch-Theater wirbt.

Deutschlands größtes privatgeführtes Theater befindet sich im ehemaligen UFA-Palast-Kino an der Mundsburg, dem nächsten Zwischenstopp. Auf der Uhlenhorst warten wieder Treppen. Trotzdem lohnt sich das Aussteigen: Das im Jugend- bis Reformstil gehaltene Bahnhofsgebäude ist eines der schönsten Hamburgs. Schräg gegenüber gibt es auch heute ein Kino. Doch "Ice Age 4" im UCI ist leider noch nichts für die kleine Anna.

Sie zieht es dafür ins Baby- und Spielzeugparadies der Hamburger Meile, dem kürzlich umfangreich renovierten Einkaufszentrum. Ein kurzer Buxenstopp im Wickelraum und weiter geht's zur Haltestelle Hamburger Straße. Die Bonusrunde ist angesagt. Auf Dehnhaide, Barmbek und Habichtstraße folgt die Endstation Wandsbek-Gartenstadt. Alle Aussteigenden nehmen mit, dass die übermäßig sonnengebräunte Frau mit den schlecht gefärbten blonden Haaren gerade mit ihrem Ex für eine Woche auf Djerba war. Das blökte sie jedenfalls in ihr Handy.

Rita Vogel ist da die deutlich angenehmere Gesprächspartnerin. Die Rentnerin verkauft am Ausgang frische Erdbeeren aus Schleswig-Holstein für vier Euro das Kilo. Lecker! Findet auch Anna, für die es aber langsam Zeit fürs Bettchen wird. Also schnell zurück zum Ausgangspunkt. Bleibt noch Zeit für eine kurze Bilanz. 44 Minuten dauert die abwechslungsreiche Fahrt von Barmbek nach Wandsbek-Gartenstadt ohne Ersatzverkehr und Zwischenstopps. In die andere Richtung geht es eine Minute schneller - behauptet zumindest die Fahrplanauskunft des HVV.