Anja Blös, Pastorin St. Nikolai Finkenwerder und Moorburg

Der Siebenjährige folgt gebannt dem Geschehen. Sein Blick geht vom Sarg zur Pastorin und wieder zum Sarg. Er sieht sich die Blumengestecke an und ist erstaunt über die Traurigkeit um ihn herum. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, lautes Schluchzen. Der Junge schüttelt sich. Ihm ist klar geworden, die Oma kommt nicht wieder. Der Vater legt den Arm um ihn. Nach zwei Minuten sind die Tränen getrocknet. Er hat sich beruhigt und grinst ein bisschen. Ich atme auf. Als würde in kürzester Zeit die Trauer durchlebt. Alles hat seinen Platz hier am Sarg.

Doch die Plätze am Sarg bleiben zunehmend leer. In der Zeitung lese ich unter Familienanzeigen: "Abschied in aller Stille." Oder: "Im engsten Familienkreis." Das hört sich nach geschlossener Gesellschaft an. Dabei hat jedes Gemeindeglied doch das Recht auf eine christliche Trauerfeier. "Gott, was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?" betet der 8. Psalm. Warum verzichten Angehörige auf die gemeinsame Gedenkfeier? Der Tod mutet Menschen viel zu. Tod und Traurigkeit möglichst privat zu bewältigen scheint mir auf Dauer eine noch größere Zumutung zu sein.

Nichtsdestotrotz versicherte mir eine Witwe, alle ihre Bekannten wünschen sich die allerkürzeste Form des Abschieds. "Urnenabtrag ab Kapelle" nennt sich das im Fachjargon. Ohne Ansprache, höchstens zehn Minuten. In aller Stille. Im besten Fall begleitet noch die engste Familie den Toten. Was das für weitere Trauernde bedeuten kann, sprach ein 63-Jähriger aus: "Wir durften nicht dabei sein. Ich kann es noch gar nicht begreifen." Er hätte seinem Freund gerne die letzte Ehre erwiesen, sagt er. Welche Spuren ein Mensch im Leben hinterlässt, lässt sich offensichtlich schwer einschätzen. Die Kinder einer Verstorbenen rechneten mit 20 Trauergästen. Bei der Trauerfeier war die Kirche voll. Die Familie war gerührt.

Ich glaube, für eine lebenshungrige Gesellschaft ist eine öffentliche Trauerfeier auch eine Hoffnungsübung. Man kann ein Ritual einüben, das dem Tod die Macht nimmt und das Leben stark macht. Oder wie es im 90. Psalm heißt: "Gott, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden."

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