Landgericht setzt Termine bis November an. Kommen weitere Angeklagte auf freien Fuß?

Neustadt. Es ist ein Prozess voller Überraschungen: Zum ersten Mal in Deutschland stehen zehn mutmaßliche Piraten aus Somalia in Hamburg vor Gericht. Seit mehr als eineinhalb Jahren wird in dem wohl spektakulärsten Seeräuber-Prozess seit Klaus Störtebeker verhandelt, ein Ende ist nicht in Sicht: Termine hat das Landgericht bis November angesetzt - dann würde der Prozess schon zwei Jahre dauern.

Die drei jüngsten Angeklagten wurden im April nach fast zwei Jahren aus der Untersuchungshaft entlassen. Geht es nach dem Willen der Verteidiger, sollen jetzt die Haftbefehle von zwei weiteren Somaliern aufgehoben werden.

"Angesichts der schon mehr als zwei Jahre andauernden Untersuchungshaft, des langen Verfahrens und des bisherigen Verfahrensverlaufs ist die weitere Aufrechterhaltung des Haftbefehls unverhältnismäßig", sagte Anwältin Gabriele Heinecke gestern am 94. Verhandlungstag. Seit November 2010 wird den zehn Somaliern der Prozess gemacht. Sie sollen den Hamburger Frachter "Taipan" vor der Küste Somalias beschossen und gekapert haben.

Anfang dieses Jahres zeichnete sich ein Ende des Prozesses ab: Die Staatsanwaltschaft hielt Ende Januar ihr Plädoyer - und forderte Haftstrafen zwischen vier und elfeinhalb Jahren. Doch dann kam das, was Verteidiger Rainer Pohlen mit einem "Tor in der 94. Minute" beim Fußball vergleicht: Mithilfe des Bundeskriminalamts (BKA) wurden plötzlich wichtige Zeugen in Indien gefunden. Im Februar teilte das Gericht den Prozess in zwei Verfahren - um zumindest in einem Verfahren zu einem schnellen Ende zu kommen. Weil ein Angeklagter dann jedoch überraschend ein Geständnis ankündigte, das alle Somalier betreffen sollte, wurde dieser Schritt rückgängig gemacht.

In dem Geständnis bezichtigte er seine Mitangeklagten der Lüge. Alle zehn Somalier hätten bei dem Überfall auf die "Taipan" freiwillig mitgemacht, betonte der Mann - sie seien nicht, wie von manchen vor Gericht behauptet, dazu gezwungen worden. Seine Mitangeklagten wiederum erklärten, Drahtzieher des Überfalls seien Verwandte des geständigen Angeklagten gewesen; diese hätten den Überfall von London aus organisiert und Waffen besorgt.

Wie geht es nun weiter? "Im September wird sich herausstellen, ob es zu einem Ende der Beweisaufnahme kommt", sagt Pohlen, der den jüngsten Angeklagten vertritt. "Keiner war darauf eingerichtet, hier nach über eineinhalb Jahren noch zu sitzen." Das Gericht habe "mit außerordentlicher Akribie und Geduld" die Beweisaufnahme betrieben, lobt der Anwalt. Es sei ein "außerordentlich faires Verfahren":

Die drei jüngsten Angeklagten, die nun in einer betreuten Einrichtung wohnen, hätten sich nach ihrer Freilassung "prächtig entwickelt", sagt der Verteidiger. "Die Jungs sind freundlich, prima drauf, sie haben Freude am Leben, das sind alles patente Jungs." Sie gehen Pohlen zufolge regelmäßig zur Schule und lernen Deutsch.