Die IG Metall kritisiert zu viele Überstunden in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Besonders in der Kritik ist das Ausmaß der Leiharbeit.

Hamburg. Die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie soll mehr Dauerarbeitsplätze schaffen, die Leiharbeit reduzieren und die Ausbildungsquote von derzeit fünf Prozent erhöhen. Diese Forderungen leitet die Gewerkschaft IG Metall aus einer Umfrage bei Betriebsräten in der Branche zwischen März und Mai dieses Jahres ab. Dabei haben der Bremer Agentur für Struktur- und Personalentwicklung (AgS) 22 Unternehmen geantwortet, die 84,4 Prozent aller Beschäftigten repräsentieren.

Besonders in der Kritik steht bei der Gewerkschaft das Ausmaß der Leiharbeit. "Es passt nicht zusammen, dass etwa bei Airbus Aufträge für sieben Jahre vorliegen und dort gleichzeitig eine der höchsten Quoten bei der Leiharbeit gilt", sagte Jürgen Kerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gewerkschaft. Bei dem Flugzeugbauer Airbus mit seiner deutschen Zentrale in Hamburg solle künftig eine Quote von 15 Prozent gelten, sagte Rüdiger Lütjen, der Konzernbetriebsratsvorsitzende der Airbus-Mutter EADS. Derzeit liegt die Leiharbeitsquote bei Airbus insgesamt noch bei knapp 20 Prozent.

Auch mit der Dauer der Einsätze in Leiharbeit ist die Gewerkschaft nicht zufrieden. "Durchschnittlich sind die Betroffenen mehr als drei Jahre in den Betrieben. Es gibt aber auch Beispiele, bei denen die Leiharbeit bis zu zwölf Jahre anhält", sagte Kerner. Immerhin zeichnen sich hier mit dem jüngsten Tarifabschluss Veränderungen ab. So müssen Mitarbeiter der Metall- und Elektroindustrie nach zwei Jahren eingestellt werden - sofern es keine anderen betrieblichen Regelungen gibt.

Als Antwort auf die hohe Auslastung haben die Betriebe in den vergangenen zwölf Monaten 3306 Mitarbeiter neu eingestellt. Die meisten Betriebsräte gehen auch derzeit davon aus, dass sich diese Entwicklung im kommenden Jahr fortsetzt. "Allein bei Airbus sind noch 400 Stellen offen, für die auch Leiharbeiter eingestellt werden können. Bisher wurden in diesem Jahr 700 übernommen", sagte Lütjen.

Aktuell zählt die Branche 53.112 feste Mitarbeiter. Die von ihnen geleisteten Überstunden sowie die 8349 Leih- sowie 1646 Arbeitnehmer mit Werksverträgen zusammengefasst, kommt die IG Metall auf ein Potenzial von weiteren 13.650 Stellen. Damit würde die Zahl der Jobs auf 66.762 steigen.

Für die Gewerkschaft geht es bei der Umfrage aber nicht nur um Daten für die Beschäftigung, sondern auch um die Arbeitsbedingungen. So könne die hohe Auslastung bei der Hälfte der Betriebe nur durch Überstunden bewältigt werden. "Für viele Mitarbeiter gibt es über Monate hinweg keine Fünftagewoche. Damit sind sie an der Grenze der Belastbarkeit", sagte IG-Metall-Vorstand Kerner. Schon deshalb müsse weiter eingestellt werden. "Wir brauchen qualifiziertes Personal und stehen dabei in der Konkurrenz etwa zur Autoindustrie. Der Flugzeugbau ist aber als Arbeitgeber nicht attraktiv, wenn die Menschen ständig überlastet werden."

Mit den Ergebnissen der Umfrage will die IG Metall nun zu einer Strategie für die Personalentwicklung der Branche beitragen. Um genügend qualifiziertes Personal zu bekommen, sollen künftig Techniker berufsbegleitend für Ingenieursaufgaben fortgebildet, mehr Plätze für Studien neben dem Beruf angeboten und die Förderung von Arbeitnehmern nicht auf Führungspersonal begrenzt werden. "Denn wer sich in der Firma nicht weiterentwickeln kann, geht", sagte Thomas Busch, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Premium Aerotec mit Werken in Augsburg, Nordenham, Varel und Rumänien.

Bisher haben sich die Arbeitnehmervertretungen von zehn Betrieben bereit erklärt, nach neuen Möglichkeiten für die Qualifikation zu suchen. Im Spätherbst will sich die Gewerkschaft zudem mit Vertretern des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie sowie des Bundeswirtschaftsministerium in Berlin treffen. "Wir wollen auf dieser Ebene einen fortlaufenden Dialog über die Zukunft der Branche führen", sagte Kerner. Die Bundeskanzlerin habe sich positiv zu dem Vorschlag geäußert. Die Umfrage der AgS soll künftig ähnlich wie im Schiffbau jedes Jahr vorgelegt werden.

Für das geplante Airbus-Werk in Alabama will die IG Metall die Kontakte zur führenden US-Gewerkschaft für die Luftfahrt intensivieren. Dort müssen sich mindestens 50 Prozent und ein Arbeitnehmer für die Vertretung durch eine Gewerkschaft aussprechen, bevor sie in einem Betrieb arbeiten kann. "Airbus hat uns aber zugesichert, dass das Management sich in diesen Fragen neutral verhalten und keine Veranstaltungen gegen die Gewerkschaft organisieren wird", sagte Lütjen. In Alabama sind derzeit nur 9,8 Prozent aller Beschäftigten in einer Gewerkschaft organisiert. Im Werk sollen 1000 Arbeitsplätze entstehen. Das erste Flugzeug soll 2016 fertiggestellt sein.